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Istanbul - Die Türkei sieht sich in der Irak-Politik in einem Dilemma: Zum einen werden die Folgen eines Kriegs gefürchtet: Einbußen im Tourismus, Spannungen mit dem Nachbarland Iran, ein möglicher Aufstand der Kurden in Südostanatolien und eine Spaltung der Regierungspartei AKP. Zum anderen sorgt sich die Regierung um wirtschaftliche Folgen im Handel mit den USA, falls sich die Türkei gegen die Politik Washingtons stellt. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist gegen einen Krieg.
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Das Parlament in Ankara hat den USA erlaubt, in Vorbereitung auf einen Krieg ihre Stützpunkte in der Türkei zu modernisieren und auszubauen. Die Entscheidung fiel in der Vorwoche mit 308 gegen 193 Stimmen bei neun Enthaltungen. Ministerpräsident Abdullah Gül betonte, die Türkei habe gar keine andere Wahl, als die USA zu unterstützen. Aber politische Beobachter weisen darauf hin, dass es gerade in der Regierungspartei AKP mit ihren islamisch-fundamentalistischen Wurzeln eine breite Basis gegen einen Krieg gibt.
Eine Entscheidung über die Stationierung von US-Kampftruppen ist noch nicht gefallen. Ob diese ins Land gelassen werden, wird vermutlich erst am 18. Februar - nach dem Ende des moslemischen Opferfestes - im Parlament beschlossen. Die USA sollen Ankara dem Vernehmen nach um Erlaubnis gebeten haben, bis zu 80.000 Soldaten in der Türkei stationieren zu dürfen.
Die größte Sorge der Streitkräfte, dass bei einem längeren Krieg und einem Auseinanderbrechen des Irak die Kurden im Norden des Landes einen unabhängigen Staat ausrufen könnten. Die Türkei hat deshalb schon angedeutet, dass sie Soldaten in den Nordirak schicken werde, um dies zu verhindern. Das aber könnte zu Spannungen mit dem Iran führen, das den Nordirak ebenfalls zu seiner Einflusssphäre rechnet.
Eine Absage der Türkei an die USA hätte aber möglicherweise noch schwerer wiegende Folgen. Die sich erst langsam wieder von der Krise erholende Wirtschaft ist nicht nur finanziell auf die USA angewiesen, auch politisch wird die Türkei bei ihren Bestrebungen um einen EU-Beitritt vor allem von den USA unterstützt. Washington ist wohl der wichtigste politische Verbündete der Türkei in dieser Frage.
Auch könnte ein kurzer Krieg, bei dem am Ende ein geeinter und demokratischer Irak steht, für die Türkei längerfristig positive Folgen haben. Türkische Firmen würden vom Wiederaufbau des Irak profitieren, es gäbe neue Absatzmärkte für türkische Unternehmen, der zum Erliegen gekommene Handel mit dem Irak käme wieder in Schwung und Geld flösse wieder in die Region. Zugute käme der Aufschwung auch dem Südosten der Türkei, der immer noch unter den Folgen des jahrelangen Guerillakriegs der Kurden leidet.
Wie immer ein Irak-Krieg auch aussieht, für den Schutz der Türkei vor irakischer Vergeltung wollen die USA die NATO heranziehen. Die USA wollen, dass die NATO dazu AWACS-Aufklärungsflugzeuge und Patriot-Abwehrraketen bereitstellt.