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Die Türkei in der EU hätte Vorteile für Israel

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare

Der Machtpoker in Ägypten ist in vollem Gange. Die USA fordern Hosni Mubaraks unverzüglichen Abtritt, Europa will einen zeitverzögerten. Mit dieser Beobachtungsstarre riskiert es einen Glaubwürdigkeitsverlust. Dabei es einen Trumpf im Ärmel, der jetzt ausgespielt werden muss: die Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU. Spätestens seit den Unruhen von Tunesien und Ägypten ist klar: Im Nahen Osten steht eine Zeitenwende bevor - mit allen Risiken.


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Die Verunsicherung der Regierungen ist spürbar. Syriens Präsident räumt Fehler seiner Regierung ein, erklärt aber, sein Land werde die Probleme lösen. Jordaniens König entlässt seine Regierung in der Hoffnung, einem Aufstand so den Nährboden zu entziehen; Jemens Präsident verzichtet auf eine weitere Amtszeit, auch soll ihm sein Sohn nicht im Amt nachfolgen. Doch die Zeit für solche Kosmetik ist abgelaufen, die Menschen wollen Alternativen zu den korrupten Systemen.

Seit einiger Zeit wird in der arabischen Welt das "türkische Modell" mit Interesse verfolgt. Geführt von den früheren Islamisten Recep Tayyip Erdogan und Abdullah Gül versucht dort die AKP, demokratische Regeln und Islam zu verbinden. Ein Versuch, der maßgeblich von der Unterstützung des demokratischen Europa abhängt. Die deutsche Weigerung, der Türkei die EU-Vollmitgliedschaft zu ermöglichen, gilt vielen als Misstrauensbekundung gegenüber dem politischen System Erdogan, was sich negativ auf die Strahlkraft des "türkischen Modells" für Nahost auswirken könnte. Es geht bei den Unruhen um nichts weniger als Israels Sicherheit und Existenz.

Der Despot Mubarak war ein Sicherheitsgarant. Nicht zuletzt deswegen ist Israel bemüht, ihm den Rücken für einen geordneten Rückzug freizuhalten, Europa auf moderate Zurückhaltung einzuschwören, sein politisches Siechtum hinauszuzögern und die Strukturen des Zerfalls in tragbare Alternativen zu überführen. Israel wurde von der Entwicklung überrascht, das ist offensichtlich - es muss auf Zeit arbeiten.

Doch das Taktieren birgt Risiken. Der Versuch, dem System Mubarak kontrollierte Sterbehilfe zu leisten, ist ein Armutszeugnis. Demokratie jetzt gleich - nur so kann Europas Forderung lauten, will es seine Glaubwürdigkeit nicht gefährden, zumal die westlichen Werte seit dem Irak-Krieg kein Exportschlager sind.

Mit einer EU-Vollmitgliedschaft der Türkei könnte sich das "türkische Modell" als eine realistische Option für die Krisenregion erweisen und zur Stabilisierung der Sicherheitslage des Nahen Ostens und damit auch Israels beitragen. In Anbetracht der derzeitigen Funkstille zwischen Ankara und Tel Aviv ließen sich die Beziehungen beider Länder beleben und zerbrochenes Geschirr einsammeln. Der Nahe Osten steht vor einer Zeitenwende, deren Ausmaß sich schemenhaft am Horizont abzeichnet. Sicher sagen lässt sich derzeit nur: Ein demokratisierter Naher Osten wäre ein Aufbruch in eine Zeit des konkurrierenden friedlichen Miteinanders - eine Chance, die nicht vertan werden darf.

Alexander von der Decken ist Redakteur beim "Weser Kurier" in Bremen.