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"Die Türkei ist für uns auch heute noch eine Bedrohung"

Von Martyna Czarnowska aus Eriwan

Europaarchiv
Giro Manoyan. Foto: czar

Armenischer Politiker über historisch belastetes Verhältnis. | "Wiener Zeitung": Armenien und Türkei überlegen, ihre seit 1993 geschlossenen Grenzen zu öffnen. Den Protokollen dazu müssen beide Parlamente zustimmen. Ihre Partei ist dagegen. Wollen Sie keine Annäherung?


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Giro Manoyan: Wir akzeptieren den Standpunkt, dass wir diplomatische Beziehungen aufnehmen sollten, ohne Vorbedingungen. Doch die Türkei stellt welche. So will sie einen Verzicht Armeniens darauf, internationale Anerkennung für die Tatsache zu suchen, dass 1915 ein Völkermord an den Armeniern begangen wurde. Sie will eine Anerkennung der Grenzen und dass der Konflikt um Berg Karabach (den Armenien und Aserbaidschan für sich beanspruchen, Anm.) so gelöst wird, wie es sich Aserbaidschan wünscht.

In den Protokollen ist nichts von der Debatte um den Völkermord zu lesen.

Die Türkei will eine Historikerkommission einsetzen. Danach wird sie sagen: "Seht, wir erlauben ja eine Untersuchung der Geschichte. Hört also mit den Völkermord- und Vertreibungs-Vorwürfen auf." Wenn die Türkei die Geschichte studieren will, soll sie zunächst eine Debatte darüber im eigenen Land zulassen. Dabei geht es nicht nur um historische Tatsachen, sondern auch um die Sicherheit unseres Staates. Solange die Türkei den Völkermord an den Armeniern leugnet, ist sie eine Bedrohung für uns.

Glauben Sie, die heutige Türkei kann so einfach Armenien bedrohen?

Ist sie denn nicht auch in den Nordirak einmarschiert, um gegen die kurdische PKK zu kämpfen?

In Ihrem Büro hängt eine Landkarte, die Teile der Osttürkei als armenisches Gebiet ausweist. Will Armenien die 1921 festgelegten Grenzen nicht anerkennen?

Armenien hat nie Ansprüche angemeldet. Es hat aber auch nicht gesagt, dass es keine hat.

Ist die Türkei also zurecht besorgt, dass Armenier eine Wiedergutmachung - Land oder auch Geld - fordern könnten?

Wenn Armenien keine Rechte hätte, würde die Türkei nicht darauf bestehen, die Grenze anzuerkennen. Sie hat Jahrzehnte lang von unserem Land profitiert, aus dem wir vertrieben wurden. Es ist Zeit, dies zurückzuzahlen.

Wäre es nicht auch für Armenien von Vorteil, die Grenze zu öffnen?

Zu welchem Preis? Unserer Unabhängigkeit? Wenn es etwa um die Wirtschaft geht, kann die Grenzöffnung auch negative Auswirkungen haben. So könnte die Türkei gewisse Waren mit einem Importverbot belegen oder hohe Zölle festlegen. Geschlossene Grenzen sind nicht unser einziges Problem. So müsste die Korruption in Armenien selbst bekämpft werden. Der Mangel an Demokratie ist nämlich eines unserer größten Probleme.

Soll es also gar keine Verhandlungen mit der Türkei geben?

Unser Standpunkt ist: Lasst uns diplomatische Beziehungen aufnehmen. Über all die anderen Probleme reden wir dann später. Doch es gibt nicht einmal ein Datum für die Ratifizierung der Protokolle. Die Türkei ist offenbar nur daran interessiert, den Prozess in die Länge zu ziehen. Sie will der Welt offenbar nur demonstrieren: "Wir reden mit Armenien."

Zur PersonGiro Manoyan ist Leiter des Zentralen Büros der Armenischen Revolutionären Vereinigung (ARF). Die ARF hat 16 Abgeordnete im Parlament mit insgesamt 131 Sitzen. Im April verließ sie die Koalition aus Protest gegen Pläne der Türkei und Armeniens, ihre Beziehungen zu normalisieren. Sie ist gegen Zugeständnisse Eriwans an Ankara.