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"Die Türkei kann nie ein Iran werden"

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Interview mit dem türkischen Botschafter Selim Yenel. | "Jede Regierung wird Reformen fortsetzen." | "Wiener Zeitung":Bei der türkischen Parlamentswahl am Sonntag sagen Umfragen der regierenden AKP einen Sieg voraus. Was bedeutet das für die Annäherung der Türkei an die Europäische Union?


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Selim Yenel: Dass wir unseren Weg fortsetzen. Diese Regierung hat wichtige Maßnahmen zur Entwicklung des Landes getroffen. Ich glaube, dass jede Regierung - wie immer sie aussehen wird - die Reformen fortsetzen wird.

Es gibt aber, auch in der Türkei selbst, die Befürchtung, die AKP hat ein verstecktes Ziel: Das Land zu einem islamistischen Staat zu machen.

Das ist nicht möglich. Die Grundlagen des türkischen Staates - etwa der Säkularismus - werden nicht erschüttert. Auch wenn die Religion an Bedeutung gewinnen sollte, wird das keinen Einfluss auf das politische Leben haben. Wenn jemand vor einer Türkei als dem nächsten Iran warnt, dann kennt er beide Länder nicht. Die Türkei kann nie ein Iran werden.

Andererseits macht nur die AKP in ihrem Wahlkampf Werbung mit der EU. Warum ist die Union so unpopulär in der Türkei geworden?

Obwohl wir Beitrittsverhandlungen begonnen und große Anstrengungen unternommen haben, hören wir von europäischen Politikern, dass die Türkei keinen Platz in Europa hat. Das jüngste Beispiel sind Aussagen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Davor war es Ablehnung aus Österreich, aus den Niederlanden, aus Deutschland. Die Menschen in der Türkei haben immer mehr das Gefühl: Egal was wir tun, die EU wird uns nicht akzeptieren. Anderen Beitrittskandidaten wurde im Gegensatz dazu signalisiert, dass sie willkommen sind.

Hat auch die Regierung die Ablehnung satt?

Sie weiß, dass es in den Beziehungen mit der EU schon immer ein Auf und Ab gegeben hat. Wir haben es aber noch immer geschafft, uns vorwärts zu bewegen. Und das werden wir auch weiterhin schaffen. Die Türkei hat schon viel in die Beitrittsgespräche investiert, ebenso wie die EU.

Gibt es eine Alternative zur EU-Mitgliedschaft? Etwa verstärkte Kooperation mit den Nachbarstaaten?

Wir streben immer danach, gute Beziehungen zu unseren Nachbarn zu haben. Aber eine Alternative zur EU gibt es nicht. Die Alternative dazu wäre wieder die EU - eine andere Form der Beziehung.

Eine privilegierte Partnerschaft, wie von manchen EU-Staaten suggeriert?

Wer das sagt, macht sich oft keine Gedanken über die Bedeutung. Eine privilegierte Partnerschaft wäre auch für die EU nicht leicht. Sie würde ebenso harte Verhandlungen bedeuten, die manchen vielleicht nicht gefallen würden. Die EU kann uns nicht einfach eine Speisekarte vorsetzen und uns sagen, was wir zu wählen haben.

Selim Yenel ist seit dem Vorjahr Botschafter der Türkei in Wien. Zuvor war der Politologe in Paris, New York und Brüssel tätig.