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Die Türkei richtete schon viele prominente "Staatsfeinde" hin

Von Susanne Güsten

Politik

Wenn sich die Vollstreckung von Gerichtsurteilen nach den Empfindungen der breiten Öffentlichkeit richten würden, wäre Abdullah Öcalan schon tot. Obwohl die Stimmung in der Bevölkerung nicht | unbedingt den Ausschlag geben wird und die Türkei immer wieder darauf verweist, daß seit 1984 niemand mehr exekutiert wurde, kann der PKK-Chef nicht unbedingt Hoffnung schöpfen.


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Denn militärische und · im geringeren Maße · auch zivile Regierungen in der Türkei haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zum Instrument der Todesstrafe gegriffen, wenn es um

sogenannte "Staatsfeinde" ging.

Schon bevor der Prozeß überhaupt begonnen hat, sind sich die meisten Beobachter einig, daß der Rebellenchef schuldig gesprochen werden dürfte. Wenn ein Todesurteil ergeht, muß in letzter Instanz das

Parlament in Ankara über Öcalans Schicksal befinden.

Die Linksextremisten Hidir Aslan und Ilias Has waren im Oktober 1984 die bisher letzten türkischen Häftlinge, die zum Galgen geführt wurden. Ihre Hinrichtung folgte wenige Monate auf den Ausbruch der

Kämpfe zwischen der PKK und der Armee und sollte ein Zeichen setzen, daß der Staat mit aller Härte gegen seine Feinde vorgehen würde.

In den vorangegangenen drei Jahren unter der Militärregierung nach dem Putsch von General Kenan Evren 1980 wurden nach Angaben türkischer Menschenrechtler 50 Menschen hingerichtet. Überhaupt

häuften sich die Hinrichtungen meist zu jenen Zeiten, in denen die Armee das Ruder in die Hand nahm. So wurde der bekannte Studentenführer Deniz Gezmis im Mai 1972 in einer Säuberungswelle der Armee

gegen Linke und Intellektuelle gehenkt, ein Jahr, nachdem die Generäle die zivile Regierung (des heutigen Staatschefs Demirel) von der Macht verdrängt hatte.

Selbst prominente Politiker wurden nicht verschont. Der erste in einem Mehrparteiensystem gewählte Ministerpräsident, Adnan Menderes, ist das bekannteste Beispiel. Menderes, dem islamistische

Tendenzen nachgesagt wurden, wurde 1960 durch den Putsch von General Cemal Gürsel gestürzt, zusammen mit fast 600 anderen Angeklagten vor Gericht gestellt und als einer von 15 Beschuldigten zum Tode

verurteilt. Menderes und zwei enge Mitarbeiter und Ex-Minister wurden schließlich hingerichtet · auf eben jener Gefängnisinsel Imrali, auf der nun auch Öcalan im Mai der Prozeß gemacht werden

soll. Auch damals gab es Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens: So wurden auf Imrali schon vor dem Urteilsspruch 80 Gräber ausgehoben. Menderes unternahm noch einen Selbstmordversuch,

doch die Schlaftabletten, die er geschluckt hatte, wurden ihm wieder aus dem Magen gepumpt, um ihn am 17. September 1961 zum Galgen zu führen.

Noch ist keinesfalls sicher, ob Öcalan denselben Weg gehen wird. Dies liegt zum einen am internationalen Druck. Wichtiger ist aber die innenpolitische Situation in der Türkei. Zumindest derzeit ist

ein lebender Öcalan für Ankara wertvoller als ein toter: nur lebend kann der Rebellenchef in Handschellen als Symbol des türkischen Triumphes vor der Nationalflagge postiert werden oder in

Vernehmungen Auskunft über internationale PKK-Helfer geben. Zudem würden die türkischen Politiker mit der Hinrichtung Öcalans einen Märtyrer schaffen. Diese Überlegungen könnten den seidenen Faden

bilden, an dem Öcalans Leben hängt.