Erfolgreiche Wirtschaftspolitik verhalf dem Premier zu erneutem Erfolg. | Die türkischen Parlamentswahlen hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan klar gewonnen, nun möchte er schnell eine neue Verfassung. Da er die erhoffte Zweidrittel-Mehrheit nicht erreicht hat, braucht er dafür die Zustimmung der Opposition. | Die Rückkehr der Leyla Zana | Erdogan erwartungsgemäß der große Wahlsieger
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Nach Auszählung aller Wahlzettel kommt seine islamisch-konservative Partei AKP auf 50 Prozent (ganz genau sind 49,9 Prozent) der abgegeben Stimmen, gut drei Prozentpunkte mehr als vor vier Jahren. Damit erhält die Regierungspartei 326 der 550 Sitze im Parlament.
Er kann die Verhandlungen deutlich gestärkt in Angriff nehmen, auch wenn das Wahlvolk seine Partei nicht mit Verfassungsmehrheiten ausstatten wollte: "Die Botschaft ist, dass wir das zusammen mit den anderen Kräften machen sollen", sagte Erdogan am späten Sonntagabend vor jubelnden Anhängern in Ankara. "Wir werden auch die Parteien anhören, die nicht im Parlament vertreten sind. Wir werden die umfangreichsten Verhandlungen führen", sagte er. "Jeder wird Bürger erster Klasse sein."
Auch die laizistische CHP legte auf 25,9 Prozent (135 Mandate) zu. Die rechtsnationalistische MHP liegt bei 13 Prozent, was im Parlament 53 Sitzen entsprechen wird. Die Kurdenpartei BDP wird mit 36 Abgeordneten vertreten sein. Sie scheiterte mit rund sechs Prozent zwar an der Zehnprozenthürde, hatte ihre Politiker aber als unabhängige Kandidaten ins Rennen geschickt, diese Hürde zu umgehen.
Mehr Frauen im Parlament
Im neuen türkischen Parlament werden mehr Frauen sitzen als je zuvor. Wie türkische Nachrichtensender am Montag meldeten, schickten die Wähler bei der Parlamentswahl vom Sonntag insgesamt 78 Frauen in die Volksvertretung. Der Frauenanteil im 550 Sitze umfassenden Parlament steigt damit von bisher 8,9 auf 14,2 Prozent. Die religiös-konservative Regierungspartei AKP stellt mit 45 Frauen die größte weibliche Fraktion.
Trotz der Steigerung ist der Frauenanteil im türkischen Parlament im internationalen Vergleich immer noch niedrig. Nach Angaben der Interparlamentarischen Union, eines internationalen Verbandes nationaler Parlamente mit Sitz in der Schweiz, liegt der weltweite Durchschnitt derzeit bei 19,3 Prozent.
Erstmals seit rund fünf Jahrzehnten wird in Ankara auch wieder ein christlicher Abgeordneter im Parlament sitzen. Der Anwalt Erol Dora, ein Mitglied der syrisch-orthodoxen Christen, gewann als unabhängiger Kandidat ein Direktmandat in der Provinz Mardin.
Sorgen bei der Opposition
Erdogans politische Gegner sehen den Machtzuwachs der AKP trotz aller Beteuerungen mit Sorge. Sie erwarten, dass die AKP die Arbeit an einer neuen Verfassung auch zur Zementierung ihrer Macht nutzen wird.
Mehr als 52 Millionen registrierte Wähler waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Um die Gunst der Wähler bewarben sich 15 Parteien und 203 unabhängige Kandidaten, von denen viele der Kurdenpartei BDP zuzurechnen sind.
Die Arbeit an einer neuen Verfassung sei nach der Wahl die wichtigste Aufgabe, hatte Erdogan erklärt. Dies gilt auch als weitere Wegmarke in den Bemühungen der Türkei um einen Beitritt zur EU. In den vergangenen Jahren ist die Türkei in den Verhandlungen kaum noch vorangekommen. Die derzeitige türkische Verfassung war 1982 unter der Militärherrschaft nach einem Staatsstreich in Kraft getreten. Obwohl grundsätzliches Einvernehmen der Parteien darüber herrscht, dass das EU-Bewerberland eine moderne und demokratischere Verfassung braucht, haben sich die verschiedenen Lager bisher nicht auf einen gemeinsamen Entwurf einigen können.
Innenpolitisch kann Erdogan aber vor allem den Aufschwung der Wirtschaft für sich verbuchen. Für die kommenden Jahre hat er große Projekte angekündigt. In Istanbul will er zwei neue, erdbebensichere Vorstädte und einen Kanal zwischen dem Schwarzen Meer und dem Marmarameer bauen, der den Bosporus entlasten soll. Zudem sollen praktisch zinsfreie Kredite Geschäftsleuten Investitionen und Familien den Kauf von Häusern möglich machen. Bis 2023 - in diesem Jahr feiert die türkische Republik den 100. Jahrestag - soll sich die Wirtschaftskraft der Türkei verdreifachen, lautet das erklärte Ziel der AKP.