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Erfolgreicher Kampf gegen den Versuch, das Internet zu kontrollieren.
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Istanbul."Tier", "Schwägerin", "Gymnasiast", "knusprig", "Atem", "Übergewicht", "erwachsen": Für die meisten Menschen sind das gewöhnliche Wörter. Für die türkische Regierung sind diese Ausdrücke allerdings obszön - und deshalb illegal: Im Februar 2011 versandte die türkische Telekommunikationsbehörde (TIB) eine Liste mit 138 Wörtern an Internet Service Provider, mit dem Auftrag, Websites, die diese Begriffe enthalten, aus dem Verkehr zu ziehen. Die Vorlage ging so weit, dass etwa "ansiklopedi" (Enzyklopädie) verboten worden wäre, weil es das Wort "sik" (türkisch für Penis) enthält.
"Dass es Wörter gibt, die im Türkischen etwas Obszönes bedeuten, in anderen Sprachen aber völlig harmlos sind, hätte dazu geführt, dass ein großer Teil des Internets gesperrt geworden wäre", erklärt Deniz Tan, Werbetexterin aus Istanbul und eine der Schlüsselfiguren im Kampf gegen die Internet-Zensur. Zwar ruderte die Regierung einen Tag nach der Bekanntmachung zurück und erklärte, dass die Liste lediglich eine Empfehlung gewesen sei. Doch es war nur eines von mehreren Beispielen, wie die türkische Regierung das Internet zu kontrollieren sucht.
Bereits jetzt hat die Telekombehörde rund 14.000 Webseiten gesperrt. Die meisten wegen pornografischen oder unliebsamen politischen Inhalts. Darunter allerdings vieles, das anderswo als unverdächtig gilt: Seiten wie Farmville oder Geocities zum Beispiel. Oder YouTube, das in der Türkei drei Jahre lang gesperrt war, weil in einem Video Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk als Homosexueller verspottet wurde.
Der Entwurf eines im Februar 2011 vorgestellten Sicherheitsgesetzes, das ein umfassendes Filter-System vorsah, ärgert Tan besonders: Internet Service Provider sollten verpflichtet werden, Filter einzubauen. Kunden würden sich nur noch dann mit dem Internet verbinden können, nachdem sie sich für eines von vier Internet-Paketen entschieden hätten (Standard, Inland, Familie und Kind). Während die Variante "Standard" laut Regierung das Internet ungefiltert zugänglich macht, limitieren die anderen den Zugriff.
"Die Regierung verkauft Zensur und will uns das als Maßnahme im Kampf gegen Kinderpornografie verkaufen", sagt Tan. Die 33-Jährige ist seit dem Jahr 2007 für die Protestbewegung aktiv. Zusammen mit anderen rief sie die Initiative "Sansüre Sansür" - auf Deutsch: "Zensiere die Zensur" - ins Leben, der es am 15. Mai 2011 gelang, den weltweit größten Protest gegen die Internet-Zensur mitzuorganisieren. 50.000 Internet-Aktivisten zogen damals durch Istanbuls Innenstadt. Innerhalb eines einzigen Tages klickten 150.000 Facebook-User auf den "Ich nehme teil"-Knopf auf der Event-Homepage: Zwei Wochen später hatte sich deren Zahl vervierfacht. Irgendwann beugte sich die türkische Regierung dem Druck und entschärfte den Gesetzesentwurf, der im November in Kraft treten sollte: Lediglich zwei Filter - Familie und Kind - würden eingeführt. Die Verwendung derselben sei darüber hinaus freiwillig.