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Die türkische Besiedlung nach der Invasion in Nordsyrien

Von René Tebel

Gastkommentare
René Tebel ist Historiker und politischer Analyst (www.tebel-report.at).
© privat

Ankara will nach der bevorstehenden Militäroperation Flüchtlinge ansiedeln - und zwar auf Kosten der dortigen Kurden.


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Die Mitteilung schlug wie eine Bombe ein. Nach einem Telefonat zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und US-Präsident Donald Trump am Sonntagabend gaben die USA ihr Einverständnis für einen türkischen Einmarsch in Nordsyrien. Kurdische Quellen ergänzten am Montag, dass die US-Streitkräfte bereits im Morgengrauen Beobachtungsposten an der syrisch-türkischen Grenze in Tel Abyad und Ras al Ain verlassen hätten.

Bisher fehlen allerdings genauere Hinweise zur geografischen Ausdehnung des türkischen Invasionsgebietes. In der Vergangenheit lagen die Vorstellungen der USA und der Türkei darüber auch weit auseinander: So forderte die Regierung in Ankara unmissverständlich die völlige Kontrolle über eine 30 Kilometer ins Landesinnere reichende "Sicherheitszone" mit einer Länge von 480 Kilometern und drohte verschiedentlich auch mit einseitigen militärischen Schritten. Die USA wiederum wollten bisher lediglich über einen 7 bis 10 Kilometer tiefen Streifen zwischen Kobane und Qamischli und gemeinsame Patrouillen verhandeln, während die kurdischen Milizen zuletzt erklärten, sich
14 Kilometer hinter die Grenze zurückzuziehen.

Die Türkei rechtfertigt den Invasionsplan mit der Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit: Im kurdisch selbstverwalteten Gebiet agiert die People’s Protection Unit (YPG), die als Kern der von den USA unterstützten kurdischen Milizen gegen den IS gilt. Ankara sieht sie als Ableger der kurdischen PKK, deren 30-jährigem Terrorkampf in der Türkei etwa 40.000 Menschen zum Opfer fielen.

Der Plan geht aber einen Schritt weiter: Neben der Vernichtung dieser "terroristischen Gefahr" sieht Ankara die Ansiedlung von bis zu zwei Millionen syrischen Flüchtlingen in der "Sicherheitszone" vor, die jetzt noch in Europa und in der Türkei leben. Hierfür sollen mit internationaler Hilfe 140 Dörfer zu je 5000 Bewohnern und 10 Distriktzentren mit je 30.000 Einwohnern entstehen. Damit könnte der türkische Präsident auch einer kritischen Grundstimmung im öffentlichen Diskurs seines Landes begegnen und die Zahl der syrischen Flüchtlinge in der Türkei deutlich reduzieren.

Was Erdogan bewusst verschweigt: Mit der Einrichtung einer 30 bis 40 Kilometer tiefen "Sicherheitszone" fielen nahezu sämtliche Hauptorte des kurdischen Siedlungsgebietes in Syrien und etwa 650.000 Kurden in türkische Hände. Da Ankara unter dem Ansiedeln syrischer Kriegsflüchtlinge vielfach die Neuansiedlung sunnitischer Araber aus ehemals anderen Landesteilen sowie Dschihadisten samt Familien versteht, würden die syrischen Kurden somit im schlimmsten Fall im eigenen Siedlungsgebiet zur Minderheit. Eine ähnliche Vorgehensweise praktiziert die Türkei schon jetzt in den in zwei Militäroperationen besetzten nordwestsyrischen Gebieten um Afrin und Jarabulus, um die kurdische Besiedlung aufzubrechen und das Gebiet in eine türkisch-kontrollierte Pufferzone zu verwandeln. Ob der neue Plan aufgeht, hängt nicht zuletzt vom innenpolitischen Widerstand in den USA und von Verhandlungen zwischen den Kurden und der syrischen Regierung ab.