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Die Turnusärzte und ihre Ausbildung

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Die Ärzte-Ausbildung in Österreich dauert weltweit am längsten. Das hat nichts mit Qualität zu tun, sondern nur mit der Möglichkeit, billige Arbeitskräfte in den Spitälern zu halten.


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Dr. M. war 27, als er mit dem Medizinstudium fertig wurde. Zwischenzeitlich hat er seine Frau fürs Leben gefunden, die Wirtschaft studierte und seit zwei Jahren arbeitete - in Wien. Die beiden wollten heiraten, sobald Ruhe in ihr Leben einkehrt.

Zuerst hieß es für ihn jedoch, den Turnus zu machen. Eigentlich wollte er ja gleich Facharzt (FA) für innere Medizin werden, doch um eine Ausbildungsstelle zu bekommen, ist es Usus geworden, diese nur an jene zu vergeben, die davor ihre "Ausbildung" zum Allgemeinmediziner abgeschlossen haben - er musste also einer von etwa 3500 Turnusärzten werden.

In Wien hätte er zwei Jahre warten müssen. Das war ihm zu lange, also ging er nach Niederösterreich. Allerdings bekam er nur Angebote in kleinen Spitälern, wo er weder seine ganze Ausbildung machen konnte, noch reale Chancen hatte, diese in den gesetzlich möglichen drei Jahren zu absolvieren. Er würde mindestens vier Jahre brauchen und mindestens zweimal das Spital wechseln. Weil er aber etwas verdienen konnte, begann er den Turnus. Seine Freundin blieb in Wien, sie starteten eine Fernbeziehung.

Fünf Jahre später war er mit der Allgemeinmediziner-Ausbildung fertig. Worin er ausgebildet wurde, kann er nicht sagen. 80 Prozent seiner Zeit verbrachte er damit, Infusionen anzuhängen, Blut abzunehmen und Arztbriefe zu diktieren. Würde er jetzt Hausarzt werden, er wäre überfordert. Hätte er in Wien gewartet, wäre er ebenfalls jetzt fertig, aber hätte wenigstens mehr gelernt - es war ein Fehler, in die Provinz zu gehen.

Seine Fernbeziehung ging in die Brüche. 72-Stunden-Wochen, höchstens ein Wochenende pro Monat, das nicht durch einen Dienst "angepatzt" war, das halten die wenigsten Partner, die sich eine Familie wünschen, aus. Hätte er in Wien gewartet, hätte er nichts verdient, aber eine Familie gründen können.

Da ihm keine Facharzt-Ausbildung angeboten wurde, begann er sich zu bewerben. Nach einem Jahr stellte er fest, dass die Stellen immer "unter der Hand" vergeben werden. Er war so naiv zu glauben, er könne ohne Beziehungen weiterkommen. Er ist mittlerweile 33 und Single. Weil er hier keine Perspektive sieht, geht er nach Deutschland und schwört sich, nie mehr zurückzukehren.

Das Ausbildungssystem der Jungmediziner ist alt, krank, menschenverachtend und unattraktiv. Und doch hält man daran fest. Das Gesundheitsministerium glaubt sogar, die Ausbildung sei praxisnah und dürfe aus Qualitätsgründen nicht verändert werden - wie weltfremd!

Oder mutlos? Betrachten wir, wer davon profitiert: Um die vielen Spitäler zu erhalten, brauchen die Länder Turnusärzte. Sie sind billig und, was wichtiger scheint, müssen, ganz ohne Kündigung und Gewerkschaftswiderstand, am Ende der Ausbildung einfach gehen. Solche Vorteile gibt man nicht auf!

Würde der Turnus, wie Wissenschaftsministerin Beatrix Karl vorschlägt, tatsächlich "wegfallen", wäre eine Spitalsreform unabwendbar. Und das werden Länder samt Gesundheitsministerium zu verhindern suchen.

Ministerin Karl will trotzdem die Ausbildung reformieren. Eigentlich ist das nicht ihr Thema, aber sie hat erkannt, dass eine Reform notwendig ist. Schließlich will sie nicht mitverantwortlich sein, wenn sich in Zukunft die meisten Mediziner aus dem öffentlichen Gesundheitssystem oder gar dem Land verabschieden. Überaus mutig, bei solchen Gegnern!

Dr. Ernest G. Pichlbauer ist

unabhängiger Gesundheits ökonom und Publizist.