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Die Ukraine schweißt zusammen

Von Clemens Neuhold

Politik

Sozialpartner und Regierung zeigen sich gerüstet gegen wirtschaftliche Erschütterungen durch den Ukraine-Krieg.


Wien. Rund 1200 österreichische Betriebe exportieren nach Russland. Rund 55.000 Jobs hängen in Österreich direkt oder indirekt an Geschäften mit dem zehntwichtigsten Handelspartner. Wirtschaftsforscher haben berechnet, dass die EU-Russland-Sanktionen mit entsprechenden Gegenmaßnahmen Österreich einen volkswirtschaftlichen Schaden von 775 Millionen Euro bescheren könnten. Das würde der Gefährdung von 11.000 Jobs entsprechen.

Angesichts dieser dunklen Wolken über dem schon jetzt angespannten Arbeitsmarkt gaben sich die Regierungsspitzen bei einem Treffen mit den Sozialpartnern gerüstet. Das Treffen war dem Thema Lehrlinge gewidmet und stieg nun zum "Ukraine-Gipfel" auf.

Erinnerung an Altbewährtes

ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner wies darauf hin, dass es sich bei den 11.000 Jobs in Gefahr um eine Maximalzahl handle, wenn die Unternehmen und die Regierung nicht gegensteuerten. Aber genau das beteuerten Bundeskanzler Werner Faymann und Mitterlehner zu tun. So setzt die Regierung auf Kurzarbeit und Arbeitsstiftungen. Beides half - frühzeitig eingesetzt - im Kampf gegen die Krise, die im sechsten Jahr noch immer nicht ausgestanden ist. Und beides steht schon jetzt zur Verfügung, zu sehen am Beispiel MAN. Der Lkw-Hersteller hat diese Woche bekannt gegeben, 500 für Russland vorgesehene Lkws dort nicht mehr absetzen zu können. Die Krise habe die bereits wirtschaftlich schwierige Situation für das Unternehmen weiter verschlechtert. Von Oktober bis Jänner sollen nun 2000 der 2400 MAN-Beschäftigten in Steyr auf Kurzarbeit gehen. Auch der börsennotierte Mautsystemanbieter Kapsch TrafficCom hatte auf ein Großprojekt in Russland gehofft, im August wurde die Ausschreibung durch das russische Verkehrsministerium für ein landesweites elektronisches Lkw-Mautsystem aber gestoppt. Die Folgen sind unklar.

"Wir befürchten, dass die Krise nicht in einem Monat vorbei ist, sondern rechnen mit einer mittelfristig negativen Entwicklung", sagte Faymann. Deswegen sollen Firmen, die ihre russischen Märkte verlieren, neue Absatzwege geebnet werden. Mit 2,5 Millionen Euro greift die Regierung rund 500 in Russland und der Ukraine aktiven Betrieben unter die Arme, die Hilfe bei der Erschließung neuer Märkte benötigen. Als weitere Maßnahme wird die staatliche Förderbank Austria Wirtschaftsservice (aws) ihre Garantieinstrumente erweitern.

Auf Nachfrage meinte Mitterlehner, dass auch die "Bankenfrage" angesprochen worden sei. Das finanzielle Risiko der heimischen Banken liegt in der Ukraine wie berichtet bei rund fünf Milliarden Euro. In Russland sind es 15 Milliarden Euro - noch ohne UniCredit Bank Austria. In der Auslage steht die Raiffeisen Bank International mit rund 10 Milliarden Euro. Die zehntgrößte Bank des Landes machte in Russland zuletzt zwei Drittel ihres Gewinnes.

Die drohenden Risiken habe Finanzminister Hansjörg Schelling "relativiert", sagte Mitterlehner. Spezifiziert wurde das nicht. Wie zu hören ist, sollen die Russland-Geschäfte der heimischen Banken als nicht "systemrelevant", sprich lebensbedrohlich, eingestuft werden. Die Rettung systemrelevanter Banken übernahm in der Krise der Steuerzahler - die Staatsschulden explodierten. Durch das neue europäische Bankeninsolvenzrecht kämen künftig zuerst Gläubiger in die Ziehung.

Zwischen FPÖ und Regierung tobte parallel zum Gipfel ein Streit um die Teilnahme Österreichs an den EU-Sanktionen. Die FPÖ kündigte an, im Parlament eine Ministeranklage gegen Bundeskanzler Faymann einzubringen. Mit der Zustimmung zu den neuen Russland-Sanktionen der EU habe die Bundesregierung einen "Verfassungsbruch" begangen, so FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Die EU-Sanktionen gegen Russland sind nach dem Dafürhalten von Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) hingegen "selbstverständlich im Einklang mit der österreichischen Neutralität". Das Verständnis der FPÖ von der Neutralität sei "veraltet".

Auf andere Weise kritisierte Wirtschaftskammer-Boss Christoph Leitl die EU-Sanktionen von einem Arbeitsbesuch in der Schweiz aus. "Die Reaktion der EU ist nicht situationsadäquat", die Sanktionen könnten eine unumkehrbare Eigendynamik bekommen.

Ein Coach für alle Fälle

Zweites Thema beim Treffen: Lehrlingsausbildung. Das Coaching für Lehrlinge, die kurz vor dem Drop-out stehen, wird verstärkt. Außerdem soll die Lehre durch eine Imagekampagne attraktiver werden. Faymann erinnerte an das Regierungsziel einer Ausbildungspflicht bis 2016. So soll jeder Jugendliche unter 18 entweder eine Lehre oder Ausbildung machen. Es wäre das Ende des Hilfsarbeiters unter 18.