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Die Ukraine unter Zugzwang

Von Gerhard Lechner

Analysen

Janukowitsch muss sich zwischen Moskau und Brüssel entscheiden.


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Es wird ein Treffen ohne Pressekonferenz und ohne Abschlussdokument. Ganz nüchtern soll es am Montag zugehen, wenn der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch seinen russischen Kollegen Wladimir Putin besucht. Im Mittelpunkt der Gespräche steht neben dem Thema Gas, wo die Ukraine von Russland einen Preisnachlass fordert, auch die "Integration im postsowjetischen Raum", wie Putins Sprecher betonte - also letztlich die Frage, ob die Ukraine jener Zollunion beitritt, die Russland gemeinsam mit Weißrussland und Kasachstan betreibt - als ersten Schritt in eine "Eurasische Union".

Ob das Treffen so "inhaltsreich und vertrauensvoll" ablaufen wird, wie es Putins Sprecher erwartet, bleibt fraglich. Schließlich ist bekannt, dass Putin und Janukowitsch neben dem Hang zu autoritärem Regieren vor allem eine gegenseitige Ablehnung verbindet. Und Janukowitsch ist zwar der Kandidat der russischsprachigen Ukrainer, nicht aber der Russlands: Der 62-Jährige genießt seinen Königsstatus in der Ukraine und fürchtet ebenso wie die mit ihm verbündeten Oligarchen Macht- und Kontrollverlust, wenn das Land abermals unter Einfluss des großen Bruders gerät.

Um den abzuwehren, bräuchte der Zwei-Meter-Mann aber Hilfe vom Westen - konkret von der EU. Die Annäherung an die Union ist - anders als es die an die Nato war - in der Ukraine bei beinahe allen Parteien unbestritten. Doch Brüssel ziert sich: Die Inhaftierung von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, die selektive Justiz im Land - das verunmöglicht bislang, dass Brüssel das fertig verhandelte Assoziierungsabkommen, das die Ukraine an die Union binden würde, in Kraft setzt. Auf dem EU-Ukraine-Gipfel vor einer Woche hat Brüssel Janukowitsch eine Frist gesetzt: Man erwarte Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit "bis spätestens Mai". Dann könne das Abkommen in Kraft treten. Und, nein: Mit einer Mitgliedschaft in der russisch dominierten Zollunion sei das Abkommen nicht vereinbar, stellte Brüssel klar.

Janukowitsch deutete daraufhin am Freitag ein Einlenken an: Er könne sich vorstellen, Ex-Innenminister Juri Luzenko zu begnadigen, meinte er auf der erst zweiten Pressekonferenz seiner Amtszeit - auf der bezeichnenderweise zahlreiche Journalisten mit "Stoppt die Zensur"-Schildern demonstrierten. Luzenko gilt als zweitprominentester politischer Gefangener hinter Timoschenko. Zugleich sendete der ukrainische Präsident jedoch auch Signale Richtung Kreml aus: Das ukrainische Pipelinenetz werde zwar nicht verkauft, "möglicherweise" könne es aber "ein Unternehmen" pachten und Gasfluss und Instandhaltung sicherstellen - wohl die russische Gazprom.