Moskau lockt Kiew in seine Zollunion und bringt die EU damit unter Zugzwang.
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Kiew. Es war eine Absage in buchstäblich allerletzter Minute: Der Flieger mit den begleitenden ukrainischen Journalisten befand sich bereits in Moskau, als letzten Dienstag bekannt geworden war, dass der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch doch nicht wie geplant nach Russland reist, um seinen russischen Kollegen Wladimir Putin zu treffen. Der Grund? "Zusätzliche Experten" müssten noch an den Dokumenten arbeiten, die die beiden Staatsoberhäupter unterzeichnen sollten, hieß es seitens des Kreml.
In Wahrheit war es wohl eher die Brisanz dieser Dokumente, die Janukowitsch in letzter Minute zurückzucken ließ: Der ukrainische Staatschef hätte sich nämlich mit Putin auf einen Fahrplan zur Annäherung seines Landes an die russisch-weißrussisch-kasachische Zollunion einigen sollen. Und die ist in der Ukraine nicht gerade beliebt: Zwar wären mit einer Reintegration in den russischen Einflussbereich viele ukrainische Überlebensfragen gelöst - Putin lockt unter anderem mit zollfreiem Öl und Gas - dafür fürchtet man in Kiew aber auch, sich wieder dem "großen Bruder" unterordnen zu müssen. Eben deshalb soll sich Janukowitsch auch nur zum Unterzeichnen relativ unverbindlicher Absichtserklärungen bereitgefunden haben.
Das könnte, munkelt man in Kiew, auch an einem Anruf aus Brüssel gelegen haben: Knapp vor der geplanten Abreise nach Moskau hatte der ukrainische Präsident noch mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso telefoniert. Danach wurde nicht nur bekannt, dass der nächste EU-Ukraine-Gipfel bereits am 25. Februar stattfinden wird - Barroso soll dem Ukrainer Gerüchten zufolge auch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens, das eine Freihandelszone der EU mit der Ukraine vorsieht, für Ende 2013 in Aussicht gestellt haben. Bislang war die Ratifizierung des fertig verhandelten Abkommens aber stets an einer Frage gescheitert: am Umgang mit Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Wenigstens offiziell macht die EU die Entlassung der Ex-Regierungschefin aus der Haft immer noch zur Bedingung für das Inkrafttreten des Abkommens.
Wie lange aber Brüssel den Tugendpfad nicht verlässt, bleibt abzuwarten: Immerhin versucht Russland seit Monaten, die Situation auszunutzen und Kiew mit Zuckerbrot und Peitsche zum Mitmachen bei seinen eurasischen Integrationsprojekten zu überreden. Neun Milliarden US-Dollar würde die klamme Ukraine im Falle einer Mitgliedschaft in der Zollunion lukrieren, schätzt ein Wirtschaftsberater Putins. Damit könne das Land unter anderem seine angeschlagene Währung, die vor der Abwertung steht, retten. Und Putin soll der umworbenen ukrainischen Braut, falls sie sich ziert, auch schon mit einem Handelskrieg gedroht haben.
Innenpolitisch würde Janukowitsch mit einem Schwenk Richtung Moskau einiges riskieren. Immerhin ist die Ausrichtung auf Europa in der Ukraine im Wesentlichen unbestritten und sogar in einem eigenen Gesetz festgeschrieben. Die Opposition drohte Janukowitsch bereits, ihn vor Gericht zu bringen, falls er etwas unterschreibt, was einem Beitritt zur Zollunion gleichkommt.