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"Das ist ein katastrophaler Weg", sagt Rudolf Strasser, einer der renommiertesten heimischen Experten für kollektives Arbeitsrecht, zur Entscheidung des deutschen Arbeitsgerichtes, die Lokführer-Streiks bloß per einstweiliger Verfügung zu untersagen. Es sei höchst bedenklich, wenn ein derart einschneidender Eingriff in gewerkschaftliche Tätigkeit in Deutschland ohne ordentlichen Rechtsspruch getätigt werde.
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Aber auch der umgekehrte Weg, die völlig schrankenlose Streikfreiheit, wie sie derzeit in Italien und Frankreich in der Verfassung verankert ist, sei "sehr gefährlich", sagt Strasser. Die französische Regierung habe daher Recht, wenn sie jetzt mit einem neuen Gesetz versucht, erstmals begrenzte Streikverbote einzuführen. Sinn dieser Verbote ist, in wichtigen Grundbereichen - etwa dem öffentlichen Verkehr - auch im Streikfall eine gewisse Grundversorgung aufrecht zu erhalten.
Wer Streiks rechtlich regeln will, wird immer unbefriedigende Ergebnisse erhalten. Denn ein formales Streikrecht - wie es sich mittlerweile etwa in Deutschland aus jahrzehntelangen Gerichtsentscheidungen ableiten lässt - umfasst immer auch Pflichten. Solche Pflichten stellen oft den ersten Schritt einer massiven rechtlichen Beschränkung gewerkschaftlicher Tätigkeit dar - so geschehen in den USA der Zwanziger und Dreißiger Jahre.
Ein verfassungsmäßig garantiertes, unbegrenztes Streikrecht wirft wiederum andere, schwerwiegende Rechtsfragen auf: Wie ist das beispielsweise, wenn in einem Spital die Ärzte streiken und als Folge Patienten sterben, weil sie keine Behandlung erhalten?
Die Freiheit zu streiken
In diesem Licht erscheint der österreichische Weg, einen Streik rechtlich überhaupt nicht zu regeln, fast weise. Es gibt hierzulande weder ein Grundrecht auf Streik, noch ein Streikverbot - es gibt die Freiheit, zu streiken, wobei sämtliche Gesetze Österreichs selbstverständlich einzuhalten sind.
Ein rechtsfreier Raum entsteht dadurch nicht. Denn sämtliche Bereiche des Arbeits-, Straf- und Schadenersatzrechtes gelten selbstverständlich auch für Streikende. Diese Gesetze können allerdings nicht verwendet werden, um Streiks generell zu untersagen: Im Artikel 11 der Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang hat, ist das Recht auf Streik zur Durchsetzung von Arbeitskonflikten verankert, wenn kein anderes Mittel mehr tauglich ist.
Daraus folgt auch die herrschende Lehre unter heimischen Juristen, dass politische Streiks hierzulande verboten sind. In diesem Zusammenhang gilt unter Juristen übrigens der große ÖGB-Streik im Jahr 2003 gegen die Pensionsreform als höchst problematisch. Denn gestreikt wurde gegen den Gesetzgeber. Die bestreikten Betriebe, die den wirtschaftlichen Schaden hatten, hatten hingegen gar nicht die Macht, eine Änderung der Pensionsreform herbeizuführen. Doch Rechtsfragen sind in Österreich ohnehin meist graue Theorie: Ohne Zusicherung der Arbeitgeber, auf Rechtsmittel zu verzichten, wird hierzulande kein Streik beendet.
Wie grau die Theorie ist, zeigt eine Anekdote: In den 70er-Jahren gab es einen Universitätsprofessor namens Robert Walter. Er war der wichtigste Vertreter der These, dass es für Beamte ein Streikverbot gibt, weil die Streikverordnung von 1914 im Rahmen der Rechtsüberleitung auch in der Zweiten Republik noch Gültigkeit habe (was die meisten Juristen bezweifeln). Als die Akademiker aber gegen das Universitäts-Organisationsgesetz 1975 protestierten, stand Walter an der Spitze der Streikenden.