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Die unbekannte Monarchie

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Reportage: Künftiger König Philippe muss Kritik aus Flandern erwarten.


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Brüssel. Die Zuschauertribüne ist schon aufgebaut, die Plastiksesselreihen sind aufgestellt, die Kamerastandplätze fixiert. Auf dem weitläufigen Platz, der das Königsschloss im Zentrum Brüssels vom gegenüberliegenden Park trennt, ist nur noch eine Fahrspur freigelassen, wo sich am Nachmittag die Autos stauen. Am Sonntag werden sie völlig von dort verbannt sein. Der Ort wird dann den Ehrengästen, den Diplomaten, dem Volk und dem Militär gehören, das in einer Parade am Publikum vorbeiziehen wird. Und am König - dem alten und dem neuen. Denn in diesem Jahr werden die üblichen Festaktivitäten zum Nationalfeiertag Belgiens noch durch ein besonderes Ereignis ergänzt. König Albert II. übergibt das Zepter seinem ältesten Sohn Philippe.

In London, das von Brüssel aus in einer zweistündigen Zugfahrt zu erreichen ist, würde so etwas für monatelange Vorbereitungen und hitzige Aufregung sorgen; die Souvenirshops würden übergehen von entsprechenden Produkten. Ähnliches konnten die Belgier auch in den benachbarten Niederlanden beobachten, wo erst vor kurzem ein Thronwechsel zelebriert wurde.

Doch in den Läden rund um den Brüsseler Großen Platz mit seinen goldverzierten Bürgerhäusern ist weit und breit kein Andenken mit der Königsfamilie zu finden. Der Maneken Pis dominiert: Den pinkelnden Buben gibt es auf Bechern und Biergläsern, als Anstecknadel und Korkenzieher, aus Schokolade gegossen oder in Schneekugeln gesteckt. Doch die Gesichter der Monarchie sind auf keinem Glas oder Schmuckteller zu sehen.

"Vor einigen Jahren noch gab es eine Postkarte mit dem Bild des Königs", erzählt Juliette, die Verkäuferin. Doch mittlerweile seien die Bilder geschützt: Sie seien nicht so einfach zu verwenden wie in Großbritannien etwa. Noch einen Unterschied gibt es zu dem Inselreich: "In Belgien wissen viele Touristen nicht, dass wir einen König haben", meint die 30-Jährige. Und auch im Land selbst seien die Monarchen nicht so populär wie bei den Nachbarn. Dabei hätten sie hier eine durchaus wichtige Funktion zu erfüllen, selbst wenn ihre Aufgaben auf repräsentative Tätigkeiten beschränkt sind. "Der König sollte eine einende Figur sein und über dem Konflikt stehen", sagt Juliette.

Der Konflikt. Er reißt seit Jahrzehnten das Land auseinander, treibt einen Keil zwischen die Flamen im Norden und die Wallonen im Süden. Es ist der Sprachenstreit, der mehr als eine Trennlinie zwischen den Flämisch- und den Französischsprechenden zieht. Beide Landesteile haben ihre weitgehende Autonomie, eigene politische Strukturen, Kultur- und Bildungseinrichtungen. Und nicht zuletzt geht es ums Geld.

Ruf nach Abspaltung

Im einst stark industrialisierten Süden waren der meiste Reichtum und ein Großteil der Oberschicht zu finden, in Flandern hingegen stellten Bauern, Tagelöhner und Textilarbeiter das Gros der Bevölkerung. Nach dem Niedergang der Eisenindustrie drehte sich dieses Verhältnis um: Der Wohlstand der Flamen wuchs über jenen der Wallonen. So kann nun so mancher flämische Politiker gegen die Transferzahlungen des Nordens in den wirtschaftlich schwächeren Süden wettern und eine Teilung des Landes fordern.

Daher sind es auch die Separatisten, die den König am meisten ablehnen. Bestätigt fühlten sie sich erst vor kurzem durch eine Bemerkung des Thronnachfolgers, der die Abspaltungstendenzen kritisierte. Als König wird sich Philippe verstärkt um Neutralität bemühen müssen.

"Um gegen den Separatismus zu sein, brauchen wir keinen König", kommentiert wiederum der 35-jährige Luuk. Er ist Kellner in einem der zahlreichen Kaffees um den Platz St. Catherine, unweit des Großen Platzes. Dort, wo nur noch die Fischrestaurants vom einstigen Stadthafen zeugen, ist in den Lokalen viel Flämisch zu hören. "Jeder Belgier sollte die Abspaltungsversuche ablehnen - das sage ich als Flame. Das Land ist zu klein, um sich zu teilen", erklärt Luuk. Monarchiebegeisterung ist ihm fremd. "Meine Eltern, meine Großeltern - die waren noch Fans", erzählt er. "Aber der vorige König war noch nahe am Volk. Er hat zum Beispiel die Bergleute besucht, die in den Kohlebergwerken ihre Lungen ruiniert haben." Mittlerweile aber spiele das Königshaus keine Rolle mehr - und sei in Gesprächen im Freundeskreis gar kein Thema.

Das Gleiche gilt für die zwei Studentinnen Camille und Marie. "Wir wissen nicht einmal viel über die Königsfamilie", stellt Marie fest. "Es ist nicht so wie in Großbritannien, dass jedes Detail in den Medien ausgebreitet wird." Doch auch die jungen Frauen finden, dass der König ein Symbol der Einheit sein sollte - wenn sie auch Zweifel daran haben, dass er es schafft. Trotzdem will Camille am Sonntag vor das Schloss gehen. Was sie jedoch interessiert, ist vor allem die Militärparade.

Porträt

Ein Enfant terrible war der künftige König Belgiens nie. Diese Rolle überließ der 53 Jahre alte Prinz Philippe seinem Bruder Laurent. Bemüht und korrekt, doch wenig charismatisch; mit diesen Attributen wird Philippe beschrieben. An die Beliebtheit seines aus dem Amt scheidenden Vaters Albert kommt er bei Weitem nicht heran. Meriten erwarb sich Philippe beim Militär - er wurde als Jagdpilot und Kommandosoldat ausgebildet - und führte bei Auslandsreisen Wirtschaftsdelegationen an. Der künftige König ist mit der 40-jährigen Logopädin und Psychologin Mathilde verheiratet, das Paar hat vier Kinder. Ältestes Kind ist die 2001 geborene Elisabeth. Sie würde laut Thronfolge eines Tages zur ersten Königin des Landes gekrönt werden.