Die Wahrheit ist, beileibe nicht nur in der Politik, eine Tochter der Zeit. Für erfolgreiche Kampagnen gilt das besonders.
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"Jede erfolgreiche Kampagne trägt Züge des Unredlichen in sich", so erklärte mir dieser Tage ein - er wird mir den Ausdruck hoffentlich verzeihen - "alter Hase" des heimischen Politikbetriebs. Ganz offensichtlich lässt sich mit der Wahrheit, und zwar mit nichts anderem als der Wahrheit, im Angesicht der Wähler kein Blumentopf gewinnen. Ingeborg Bachmanns berühmtes Diktum, wonach die Wahrheit den Menschen durchaus zumutbar sei, wäre demnach auf den Homo Politicus allenfalls eingeschränkt anwendbar.
Die große Kunst des gehobenen Kampagnenmanagements ist es dabei herauszufinden, welchen Zipfel der Wahrheit man besser verschweigt - oder eben welche kleine Unredlichkeit man besonders hervorstreicht. Einen fixen Bauplan gibt es dafür, wie immer im Leben, nicht, obwohl sich als goldene Regel natürlich anbietet, den gesunden Hausverstand nicht allzu offensichtlich zu beleidigen.
Allerdings beweisen auch hier etliche Ausnahmen die Gültigkeit dieser Faustregel. So kann man, wenn denn der Erfolg die Mittel heiligen soll, vor der Idee, alles Militärische aus einer Kampagne für die Wehrpflicht auszuklammern, nur den Hut ziehen. Fast noch höher ansetzen muss man die Kunst, beim immerwährenden Abwehrkampf gegen Pensionsreformen die Privilegierten dieses Systems beständig zu verschweigen und stattdessen die Mindestrentner ins Zentrum zu schieben, über deren Existenz am Rande des Prekären ohnehin betroffene Einigkeit besteht. (Ganz zu schweigen davon, das Abstimmungsverhalten von Alt und Jung in dieser Frage einander gegenüberzustellen.) Die Liste ließe sich noch endlos fortsetzen.
Die spannende Frage, zumindest polit-philosophisch betrachtet, lautet: Kann man auch unter falschen Voraussetzungen das Richtige wählen? Und wenn ja, wem gebührt der republikanische Dank? Der Partei, die um des höheren Zwecks (und des eigenen Erfolgs) willen fünf gerade sein hat lassen? Oder doch den Bürgern, deren Instinkt für die tiefere Wahrheit sie gleichsam zur richtigen Entscheidung geführt hat?
Politik so betrachtet erhält allerdings einen fundamentalistischen Beigeschmack, denn ob richtig oder falsch, zeigt sich nicht selten erst im Nachhinein. Das knappe Nein der Österreicher zur Atomkraft 1978 steht heute wie ein leuchtender Turm zivilgesellschaftlicher Antizipationskunst in der Landschaft. Was soll’s, dass eine Mehrheit wohl nur deshalb zustande kam, weil ÖVP-Wähler auf einen Abgang Bruno Kreiskys hofften. Im Gegensatz dazu steht die nur noch tiefenpsychologisch zu verstehende Phobie des Landes, sicherheitspolitischen Wahrheiten ins Auge zu blicken, etwa was die tatsächliche Rolle der Neutralität nach 1955 für die Sicherheit Österreichs angeht.
Mit Blick auf die anstehenden Urnengänge steht uns demnach ein an kleineren und größeren Unredlichkeiten reiches Super-Wahljahr bevor. Womöglich durchschauen die Bürger aber ohnehin die Taschenspielertricks der Parteien von Anfang an und wählen trotz - und nicht wegen - dieser das, was sie für sich und das Land für das Beste halten.