Die Fifa wäre gut beraten, die Schauspielereien zum Rote-Karten-Schinden zu sanktionieren - sie machen den gesamten Fußball lächerlich.
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Der Grat zwischen Superstar und Suppenkasper ist ein schmaler - das beweist uns zu diesen Stunden Brasiliens Fußball-Halbgott Neymar.
Kaum hatte er im Achtelfinale die Mexikaner praktisch im Alleingang 2:0 besiegt und somit Brasiliens Anwartschaft auf den sechsten WM-Titel untermauert, wurde er zum globalen Gespräch in den sozialen Medien. Aber nicht ob seiner zweifelsohne elaborierten Fußball-, sondern wegen seiner miserablen Schauspielkunst, die in der ersten K.o.-Runde einen neuen Höhepunkt erfahren hat. Nachdem ihm der Mexikaner Miguel Layún im Zuge eines Gerangels auf tatsächlich ungute Art absichtlich auf den Knöchel gestiegen war, mimte der Superstar nicht bloß den sterbenden Schwan, sondern vielmehr einen richtig Sterbenden. Lautes Geschrei und wildes Gewälze ließen vermuten, der teuerste Spieler der Welt könne das Martyrium nur mit einer Überdosis Morphium aushalten. Aber am Ende weit gefehlt, wenige Minuten später lief er wieder wie ein junger Hase über den Rasen und bereitete sogar noch den 2:0-Endstand vor. Die Netzgemeinde dankte ihm diese Einlage nun mit dem Twitter-Hashtag #NeymarChallenge, bei dem schlechte Schauspieler aus aller Herren Länder einen auf Neymar machen. Köstliche Verarschung.
Zur Verteidigung von Neymar darf zweierlei gesagt werden: Erstens ist der Stürmer der Seleção der wohl meistgefoulte Spieler dieser WM, der vor vier Jahren auf dem Weg zum Endspiel in der Heimat im Viertelfinale so brutal niedergestreckt worden war, dass er monatelang außer Gefecht war; zweitens ist Neymar bei Gott nicht der einzige dieser unerträglichen Theatraliker auf dem grünen Rasen. Vielmehr scheint sich das Rote-Karten-Schinden (neben der Elfer-Schwalbe) als neues Täuschungsmanöver etabliert zu haben - und zwar bei vielen WM-Akteuren. Jede kleine Berührung, jedes Streifen mit den Stollen, jeder Mini-Touch mit dem Ellbogen hat einen Todesschrei zur Folge, der durch Mark und Bein geht. Meist gefolgt durch den von seinen Sekundanten in die Luft gemalten TV-Schirm - will heißen: Videobeweis, denn das war ein Rot-Foul! War es meist nicht, denn die Videoschiedsrichter sind dank Superzeitlupe sehr genau im Bilde und fallen (zumindest bisher) nicht drauf rein. In Russland wurden erst zwei echte rote Karten - und diese wegen Torraubs - verhängt. Ein sehr geringer Wert. Die Ursache dieser Schmerz-Shows liegt freilich auch beim neuen Videobeweis, denn die Kicker hoffen natürlich darauf, dass die Szene überprüft wird und bei den mutmaßlichen Tätern was picken bleibt - und nicht selten ist es zumindest eine Gelbe. Zweck schon halb erfüllt, Spielpause detto herausgeholt. Daher wäre die Fifa dringend beraten, derartige Schauspielerein abzustrafen - am besten mit gelben Karten analog zu den Schwalben. Und wurde uns einst nicht versprochen, dass das Reklamieren des Videobeweises ebenso sanktioniert würde? Auch das würde Abhilfe schaffen, zumal es hierbei um nichts Geringeres als die sonst so heilige Integrität des Sports geht. Neymar & Co. machen den Fußball lächerlich - und sie merken es nicht einmal. Und wehe jemand sagt, sie würden jammern wie Mädchen. Haben wir vergessen, wie es im Vorjahr bei der Frauen-Euro zugegangen ist? Solch unsportliche Schauspielereien gab es dort nämlich nicht.