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Die unerwähnten Toten

Von Martyna Czarnowska

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Mit Kritik an der türkischen Regierung halten sich EU-Politiker derzeit zurück: Sie brauchen Ankara in der Flüchtlingskrise.


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Miray Ince ist drei Monate alt geworden. Sie starb mit ihrem Großvater Ramazan Ince auf einer Straße in Cizre, einer Stadt im Südosten der Türkei, die fast schon an der Grenze zu Syrien liegt. In den Irak ist es von dort auch nicht weit weg. Kämpfe aber, wie sie in den beiden Nachbarstaaten ausgefochten werden, sind nicht etwas, was die Bewohner Cizres nur aus dem Fernsehen kennen. Die Menschen erleben es selbst. Und hunderte haben es nicht überlebt.

Seit Monaten werden in mehreren Städten Südostanatoliens immer wieder Ausgangssperren verhängt: in Cizre, Silopi, Idil, in Sur, einem Bezirk der Millionenstadt Diyarbakir. Soldaten der türkischen Armee liefern sich Scharmützel mit Kämpfern der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die als Terrororganisation eingestuft wird. Die Armee fährt schweres Geschütz auf, flog sogar schon Luftangriffe. Manche Stadtteile befanden sich wochenlang im Belagerungszustand, auch Zivilisten waren dann eingekesselt, mussten sich in Kellern verschanzen, starben durch verirrte Kugeln oder eine Rakete. In Cizre wurden aus den Ruinen eines Hauses mehr als 150 Leichen geborgen. Die Bewohner, die geflohen waren und nun, nach der Aufhebung des Ausgehverbots, zurückkommen, finden mancherorts nur noch ein Trümmerfeld vor.

Die Kämpfe zwischen Armee und PKK, bei denen in den 1990er Jahren tausende Menschen starben, sind neu entbrannt, zusätzlich wird die Lage durch den Krieg im nahen Syrien und den Terror, der von dort kommt, verschärft. Abgeordnete der von Kurden dominierten Partei HDP klagen die staatliche Willkür an und schreiben Appelle an EU-Politiker.

Diese sind nämlich in der Flüchtlingskrise auf die Türkei angewiesen. Ein Aktionsplan mit der EU-Beitrittskandidatin wurde ausgearbeitet. Die Regierung in Ankara soll der Union dabei helfen, deren Außengrenzen zu schützen. Dafür gibt es Geld für Flüchtlingshilfe in der Türkei, wohin an die zwei Millionen Syrer geflohen sind: 95 Millionen Euro sind bereits zur Verfügung gestellt. Visafreiheit für Türken bei Reisen in die EU könnte es schon im kommenden Jahr geben. Außerdem könnte die Gemeinschaft syrische Asylwerber direkt aus der Türkei übernehmen, die umgekehrt jene Migranten zurücknehmen soll, die in der EU keinen Anspruch auf Asyl haben.

Bei dieser Zusammenarbeit sollte die EU aber nicht auf ihre Prinzipien wie Wahrung der Menschenrechte vergessen, mahnten die HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag vor kurzem in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl wiederum befürchtet, dass Abschiebungen von Flüchtlingen in die Türkei rechtswidrig wären, weil diese kein sicherer Drittstaat sei.

Ein weiterer Aspekt: Am Freitag, als Tusk und EU-Kommissar Johannes Hahn in der Türkei waren, wurde eine der größten Zeitungen des Landes unter Aufsicht der Justiz gestellt. "Zaman" steht nämlich einem scharfen Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdogan nahe.

Doch weder die Einschränkungen der Pressefreiheit noch die Kämpfe im Südosten erwähnt die EU in ihrem Aktionsplan mit der Türkei.