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Debatte um den Umgang mit der Volksgruppe bekommt europäische Dimension. | Roma-Aktivistin: "Stimmungsmache gegen Minderheit." | Bukarest/Wien. Nick verbirgt seinen Unmut nicht. "Wenn Kamerateams aus Westeuropa auftauchen, dann filmen sie das", sagt der 22-jährige Rumäne und zeigt auf die Roma-Siedlung, an der der Zug aus Bukarest nach Cluj gerade vorbeifährt. | ,Genozid an den Zigeunern passierte einfach nebenbei´
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Wellblechhütten, Holzverschläge, dazwischen zum Trocknen aufgehängte Wäsche, durch den Schlamm hüpfende Kinder - das sei nicht Rumänien, höchstens ein kleiner Teil davon. Aber meist werden im Ausland eben Bilder vom Elend der Roma gezeigt, findet der junge Offiziersanwärter.
Und warum die Westeuropäer so darauf pochen, dass die Situation der Roma und Sinti sich bessern müsse, glaubt Nick zu wissen: Die EU wolle, dass Rumänien die Probleme löse und sie damit vom Rest der Union fernhalte. Dabei hätten Roma doch die gleichen Rechte wie Rumänen.
Nick ist mit seiner Meinung nicht allein. Mit Vorurteilen bis hin zu Rassismus sind Roma und Sinti in vielen Ländern konfrontiert. Worauf Menschenrechtsorganisationen hinweisen, wird hingegen kaum angesprochen: strukturelle Diskriminierung, systematischer Ausschluss von Bildung und Arbeitsmarkt, Abdrängen an den Rand der Gesellschaft.
"Roma und Sinti wurden Jahrhunderte lang ausgegrenzt und verfolgt. Das prägt bis heute den Umgang vieler europäischer Staaten mit ihnen und hat direkten Einfluss auf die Zukunftschancen der Betroffenen", erklärte Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe Österreich, vor kurzem bei einer internationalen Konferenz in Wien.
So sind die Zeiten, in denen EU-Politiker mit Maßnahmen gegen die EU-Bürger Roma und Sinti Popularitätspunkte sammeln wollen, auch noch nicht vorbei. Das zeigte erst in der Vorwoche der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Mit der Gleichsetzung von Ausländern und Kriminellen sowie der Ankündigung, straffällig gewordene Roma aus Rumänien umgehend aus Frankreich abschieben zu wollen, zog er sich den Protest von Opposition und Kirchen zu. Die Regierung in Bukarest hat daraufhin einen Integrationsbeauftragten für die Angehörigen der Volksgruppe ernannt - und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass Frankreich nicht gegen das Recht auf freien Personenverkehr in der EU verstoßen sollte.
Integration gefordert
Doch auch andere Länder gehen gegen eingewanderte Roma und Sinti vor. In Italien und Finnland wurden Zeltlager auf Geheiß von Behörden aufgelöst; Dänemark und Schweden haben mehrere Dutzend Menschen ausgewiesen und sich dabei auf ihre Ausländergesetze berufen. Der schwedische Migrationsminister Tobias Billström etwa meinte, auch EU-Bürger müssten glaubhaft machen, dass sie ihr Geld "auf ehrliche Weise" verdienen. Und betteln gehöre nun einmal nicht dazu. Das war nämlich eine der Begründungen für die Abschiebungen.
Andere schwedische Regierungsmitglieder wiederum forderten die EU-Kommission auf, einen bindenden Aktionsplan zur Sicherstellung von Menschenrechten für Roma in der EU zu erarbeiten.
Die EU selbst hat ebenfalls größere Anstrengungen zur Integration der bis zu zwölf Millionen Roma in Europa gefordert. Die Situation der größten ethnischen Minderheit in der Union habe sich in den vergangenen Jahren nämlich verschlechtert, hieß es beim zweiten europäischen Roma-Gipfel im April.
Doch liege es in erster Linie an den jeweiligen Ländern, ihren Verpflichtungen nachzukommen, betont die Roma-Aktivistin Gilda Horvath. Die EU habe mehrere hundert Millionen Euro für Projekte zur Verfügung gestellt. "Aber es kommt auf die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten an, und dabei trägt die Politik der Länder die Verantwortung", sagt Horvath der "Wiener Zeitung". Doch statt auf die Einhaltung von Menschenrechten zu pochen, betreiben Politiker oft aktive Stimmungsmache gegen die Minderheit, was nicht zuletzt auf den Rechtsruck in Europa zurückzuführen sei. Als Beispiele dafür nennt Horvath sowohl die Zwangsräumungen von Roma-Lagern in Italien als auch die Hetze rechtsextremer Gruppierungen gegen die Minderheit in Ungarn: "Das ist keine Ausländerfeindlichkeit, das ist offener Anti-Ziganismus."