Verhandlungen zu Beitritten stocken. | Streit und neue Strenge bei Bulgarien und Rumänien. | Lissabon-Vertrag als Knackpunkt. | Brüssel/Berlin. Genau fünf Jahre ist es am Freitag her: Zehn Hauptstädte neuer EU-Mitgliedsstaaten schimmerten im Widerschein der Feuerwerke. Die Menschen tanzten auf den Straßen. Mit einem großen Schwung der Ost- und Südosterweiterung setzte die Europäische Union einen wegweisenden Schritt zur friedlichen Wiedervereinigung Europas, die bis dahin in der Geschichte beispiellos war - eine logische Weiterentwicklung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor fast 20 Jahren.
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Seit mehr als einem Jahr nehmen die meisten neuen Mitgliedsländer darüber hinaus am grenzenlosen Schengen-Raum teil. Nur noch bei Reisen nach Zypern, Bulgarien, Rumänien und in die alten EU-Länder Großbritannien und Irland gibt es Grenzkontrollen. Mit Slowenien, Malta, Zypern und der Slowakei sind bereits vier der jungen EU-Mitglieder auch in die Eurozone mit der Gemeinschaftswährung integriert.
Inzwischen geht bei der Erweiterung der EU freilich kaum mehr etwas; die Beitrittsgespräche mit Kroatien stocken, jene mit der Türkei dauern selbst nach optimistischen Schätzungen noch mindestens bis in die 2020er Jahre. Die meisten Länder am Westbalkan, die über eine ausdrückliche EU-Perspektive verfügen, sind durch konkrete Konflikte mit EU-Mitgliedsstaaten blockiert wie eben Kroatien, Serbien und Mazedonien oder stehen sich selbst im Weg wie Bosnien-Herzegowina. Montenegro und gerade zu Wochenbeginn Albanien haben immerhin bereits formell Beitrittsanträge eingereicht.
Rehns Erfolgsbilanz
Maßgebliche EU-Länder wie Deutschland und Frankreich betonen indes beharrlich, dass es ohne den auf der Kippe stehenden Lissabonner Reformvertrag und seinen vereinfachten Entscheidungsfindungsmechanismen überhaupt keine Erweiterung mehr gebe. Auch die gegenwärtige Wirtschaftskrise und ihre enorme Belastung für die Staatshaushalte machen wenig Appetit auf finanzielle Abenteuer zu Gunsten neuer Mitgliedsstaaten.
Dabei wird Erweiterungskommissar Olli Rehn nicht müde, die Vorteile der großen Erweiterungsrunde herauszustreichen: Das Handelsvolumen zwischen den alten und den neueren Mitgliedsstaaten habe sich in den vergangenen zehn Jahren von 175 Milliarden Euro auf rund 500 Milliarden fast verdreifacht, erklärte Rehn in Berlin. Unter den jüngeren EU-Ländern sei es heute mit 77 Milliarden Euro fast fünf Mal so hoch wie 1999. Sie waren bis zum Ausbruch der Wirtschaftskrise - in der die Ausblicke weltweit nicht rosig sind - der Wachstumsmotor der Union und sollen es nach der Krise auch wieder werden. Österreich ist durch die Erweiterung vom toten Rand Europas wieder ins Zentrum gerutscht. Die heimischen Banken und Versicherungen waren im Ost- und Südostgeschäft ganz vorne dabei.
Keine Beitrittsdaten
Doch die Erweiterung ist Rehns Job und der läuft alles andere als rund. Denn schon der Beitritt von Bulgarien und Rumänien zum Jahresbeginn 2007 hat die Luft herausgenommen. Beide Länder hatten damals die EU-Standards in so zentralen Bereichen wie Justiz- und Inneres bei weitem nicht erfüllt und tun das bis heute nicht. Daher stehen sie unter strenger Beobachtung der EU-Kommission, die inzwischen auch nicht mehr davor zurückschreckt, den beiden jüngsten Mitgliedsländern mangels sichtbarer Fortschritte Fördergelder zu streichen.
Bulgarien hat nach dringenden Korruptions- und Betrugsverdachtsfällen bei der Verwaltung der EU-Mittel bereits rund 200 Millionen Euro endgültig verloren, hunderte weitere sind vorläufig eingefroren. Brüssel hat Rumänien erst im Februar wegen völligen Erlahmens der internen Reformen für den Sommer Ähnliches angedroht.
Umso strikter müssen selbst die glühendsten Erweiterungsfreunde bei künftigen Beitritten auf die strikte Einhaltung der dafür notwendigen Bedingungen achten. Verpönt sind inzwischen Zusagen in Form von Beitrittsdaten, die bei Bulgarien und Rumänien zum unmittelbaren Nachlassen des Reformeifers geführt hatten.
Kroatien Leidtragender
Erster Leidtragender der neuen Strenge ist bereits Kroatien, mit dem Rehn gerne die Beitrittsverhandlungen bis zum Ende seiner Amtszeit im Herbst abgeschlossen hätte. Doch nicht nur die Blockade der Verhandlungen durch den Grenzstreit mit Slowenien, sondern auch inhaltliche Probleme vereiteln das Ziel des Finnen. Reformen des Justizsystems, der Kampf gegen die Korruption und die Sanierung der maroden kroatischen Werften kommen keinen Zentimeter voran.
Mazedonien, das bereits über Kandidatenstatus verfügt, und Serbien, das wegen seiner starken Verwaltung als ein natürlicher nächster Kandidat gilt, haben unterdessen ihre eigenen Probleme. So ringt Skopje auf reichlich tollpatschige Art mit dem EU-Staat Griechenland um den wahren Namen der "Früheren Jugoslawischen Republik Mazedonien", wie das Land derzeit offiziell heißt. Denn Athen kann "Mazedonien" wegen seiner gleichnamigen Nordprovinz nicht akzeptieren - das "hellenische Erbe" sei bedroht, heißt es. Das Kandidatenland konnte sich bisher nicht durchringen, "Nordmazedonien" oder so ähnlich zu heißen und provoziert Griechenland mit der Benennung seiner Flughäfen und Autobahnen nach Alexander dem Großen. Bewegung in der verfahrenen Geschichte zeichnet sich keine ab.
Objektiv nachvollziehbarer sind die niederländischen Bedenken gegenüber der vollen Kooperation Belgrads mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, obwohl es sich nach Ansicht vieler Diplomaten auch hier um einen Justament-Standpunkt handelt. Erst wenn auch der serbische Ex-General Ratko Mladic einsitzt, wollen die Niederländer grünes Licht für die weitere EU-Annäherung Serbiens geben. Befürworter einer weicheren Linie - also fast alle anderen Mitgliedsstaaten inklusive Österreich - warnen, dass die EU-freundliche serbische Regierung unter Präsident Boris Tadic Erfolge braucht, um die positive Stimmung gegenüber der EU im Land zu erhalten.
Hoffnung für Reform?
In Bosnien-Herzegowina mit seinen heillos zerstrittenen Volksgruppen aus der Republika Srpska und der bosniakisch-kroatischen Föderation ruhen die Hoffnungen auf den Vermittlungskünsten des neuen EU-Beauftragten Valentin Inzko aus Österreich.
Positiver sieht es offenbar um die Ratifizierung des Lissabonner Vertrages aus, den viele als Voraussetzung für weitere Erweiterungsschritte sehen: Die Stimmen für eine Mehrheit im tschechischen Senat seien zuletzt deutlich angestiegen, berichtete der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Optimismus sei gerechtfertigt. Der scheidende tschechische Premier Mirek Topolanek dürfte die Absegnung des Vertrags im EU-Land Tschechien als sein politisches Vermächtnis noch auf den Weg gebracht haben.
Damit bliebe nur noch Irland und das dortige Referendum als letzte und einzige Hürde für den Vertrag von Lissabon. Hier kann es nur das Prinzip Hoffnung gebe; niemand weiß, wie die Iren im Herbst abstimmen werden.
Klar ist nur: Wenn es ein zweites Nein gibt, dann werden künftige Erweiterungsschritte inklusive jener um Kroatien oder vielleicht Island noch viel schwieriger. Als Pfand für ihr Einlenken könnten Frankreich und Deutschland etwa eine drastisch verkleinerte EU-Kommission verlangen, wenn schon für viele weitere Jahre auf Basis des derzeit gültigen Vertrags von Nizza erweitert werden soll. Der verspricht weithin notwendige und sperrige Einstimmigkeitsentscheidungen in vielen Bereichen.