Zum Hauptinhalt springen

Die Union ist gerettet - die Angst hat gesiegt

Von Haimo L. Handl

Gastkommentare
Haimo L. Handl ist Politik- und Kommunikationswissenschafter.

Der Verbleib Schottlands bei Großbritannien ist ein Pyrrhussieg sowohl für das Vereinigte Königreich als auch für die Europäische Union.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Eine deutliche Mehrheit der Schotten hat für den Verbleib in der Union gestimmt. Der Ausgang war offen, wiewohl unübersehbar war, dass die massive Einschüchterungs- und Angstkampagne, unterstützt von den Warnungen etlicher befreundeter EU-Staaten, Wirkungen zeigen würde. Das hat sich eindrücklich erfüllt. Es ist dennoch ein Pyrrhussieg sowohl für das Königreich als auch für die EU.

Denn mit dem Verbleib gewann zwar die britische Union, aber nur mit enormen, zuvor zugesprochenen Zugeständnissen an Schottland. Es gewann nicht ein Unionsdenken, eine gemeinsame Überzeugung einer Einheitlichkeit, es gewann das Nutzendenken, es gewann die Angst. Kurz, es gewann das Establishment, die Hochfinanz. Der reicht die Formalität, der Schein, weil er die Weiterführung der Geschäfte ungestört ermöglicht. Die offizielle EU atmet auf, weil der Anstoß zum Dominoeffekt ausgeblieben ist.

Interessant und aufschlussreich sind die warnenden Angstparolen, die so ganz anders klangen als im Fall der Sezessionen der früheren Teilstaaten Jugoslawiens, der Spaltung der Tschechoslowakei, der Ukraine. Die Königin warnte, die EU warnte, fast alle warnten. Außer der schottischen Unabhängigkeitsbewegung und jenen Kräften, die sich in anderen Staaten selbständig machen wollen, Flamen, Katalanen, Südtiroler.

Kurz vor dem Referendum ließ die "Neue Zürcher Zeitung" einen Schotten besorgt fragen: "Ist Unabhängigkeit auch Freiheit?" Die gewünschte Antwort wurde mitgeliefert. Aber die könnte Sprengstoff sein. Eine Schlüsselfrage, denn der Umkehrschluss ist fatal für das Freiheitsverständnis, für das Abhängigkeitsverständnis. Auch die "Welt" fokussierte auf die nationale britische Stärke und das Pfund und befand: "Abtrünnigen Schotten droht eine düstere Zukunft." - "Die Aufnahme in die EU ist keine Lösung." Der Satz klingt eigentümlich. Wie hat den die EU argumentiert im Zuge ihrer Erweiterungen? In Großbritannien lasen sich die Botschaften wie ein Aufruf zum letzten Gefecht, verzweifelte Warnungen vor dem visionierten Chaos und Untergang.

Dennoch fanden sich, als Restwirkung der liberalen Tradition der Qualitätspresse, in einigen Zeitungen Journalisten, die kritisch reflektierten, kritisch fragten und sich damit sogar gegen die eigene Blattlinie stellten. So notierte Suzanne Moore im "Guardian": "The language of the no camp - Westminster, bankers, Farage, Prescott, the Orangemen und Henry Kissinger - is innately patronising." Wäre das in einem anderen Blatt gestanden, man hätte es als unqualifiziertes Bashing der Konservativen, der Wirtschaft abgetan. Denn so en passant zählt sie doch die wichtigen Kräfte, die eigentlichen Interessenten auf, die man im Terminus "Establishment" zusammenfasst oder andeutet. Wer denken wollte, könnte. Das zu verhindern, gelang den Medien mit EU-Unterstützung für einmal mehr.

Britannien und die EU müssen sehr schwach sein, wenn sie sich auf solche Manöver abstützen müssen, um zumindest die formale Existenz zu gewährleisten. Beide haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. In Britannien haben die nationalen Werte verloren, in Europa die europäischen. Die vordergründige Geschäftsvernunft der herrschenden Realpolitik ist zu wenig.