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Rumänien droht Verlust von Milliarden Euro aus EU-Töpfen. | Keine raschen Ergebnisse bei Roma-Integration. | Bukarest. Roma leben in den meisten EU-Ländern am Rand der Gesellschaft und üblicherweise viel schlechter als ihre Landsleute. Sozialkommissar Laszlo Andor hat sich vorgenommen, das zu ändern - stößt dabei jedoch auf massive Schwierigkeiten.
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Besonders plakativ sind die Probleme in Rumänien, dem Land mit der größten Roma-Population in der EU. Obwohl die Regierung in Bukarest mehr als 20 Milliarden Euro aus dem EU-Rahmenbudget von 2007 bis 2013 für Projekte zur Förderung der Roma nutzen könnte, kommt bei den Bedürftigen so gut wie nichts an. Dem Land droht der Verlust von mehreren Milliarden Euro an EU-Förderungen.
Denn die rumänischen Behörden haben nicht nur wegen mangelnder Qualifikation ihrer Mitarbeiter grobe Probleme bei der Abrufung, Verwaltung und Weiterleitung der EU-Mittel, wie es in Kommissionskreisen heißt. Auch der politische Wille, den Roma zu helfen, hält sich offenbar in engen Grenzen. Das Problem sei "institutioneller Rassismus" und eine grundsätzliche Ablehnung der "Zigeuner", erklärte Valeriu Nicolae vom Think Tank "Policy Center for Roma & Minorities" nach einer großen EU-Romakonferenz letzte Woche. Bis in die höchsten Regierungskreise werde über die "stinkenden Zigeuner" geschimpft, beklagen Roma-Vertreter hinter vorgehaltener Hand. Weil die gut 20 Millionen Rumänen laut Umfragen zu 80 Prozent eine negative Meinung über Roma haben, sei der Ansporn für Politiker gering, sich für die Minderheit einzusetzen, bedauert der rumänische Antidiskriminierungsbeauftragte Csaba Ferenc Asztalos.
Leben im Slum
Und um die Roma steht es nicht gut: Die meisten sind weniger gut bis überhaupt nicht ausgebildet, haben daher kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt, leben in Armut und hausen unter unvorstellbaren Bedingungen. Das sieht man etwa in Ferentari, dem gefährlichsten und völlig verwahrlosten fünften Verwaltungsbezirk von Bukarest. Das Roma-Viertel ist ein Slum. In verfallenden Wohnblocks leben siebenköpfige Familien in überfüllten Ein-Raum-Wohnungen. Die es noch schlechter haben, hausen in notdürftigen Verschlägen direkt auf den müllbedeckten Straßen. Gebrauchte Spritzen am Straßenrand und in Stiegenhäusern zeugen vom weit verbreitetem Drogenkonsum. Die meisten Teenager sehen mangels Job und Schulbildung bloß in kriminellen Banden eine Zukunftsperspektive.
Die Abkopplung der Roma vom Rest der Gesellschaft hat sich vor allem seit dem Ende der kommunistischen Regimes in Mittel- und Osteuropa dramatisch verschärft, wie Andor erläutert. Die Roma sind die Verlierer der Wende. Hatten sie zuvor zumindest auf dem Papier einen Job und daher auch ein Einkommen, ist die Arbeitslosigkeit nach 1989 sprunghaft nach oben geschnellt. Mehr als zwei Drittel der Roma haben in den neuen Mitgliedstaaten keine geregelten Einkünfte.
Das alles ist seit langer Zeit bekannt und hat bisher kaum jemanden außer ein paar Handvoll Aktivisten interessiert. Erst nachdem der französische Präsident Nicolas Sarkozy heuer begonnen hatte, die Roma aus Rumänien und Bulgarien zu tausenden in ihre Heimat zurückzuschicken, war das Schicksal der größten Minderheit der EU plötzlich europaweit in den Schlagzeilen. Trotz der neuen Aufmerksamkeit für das Problem, stieß die EU-Delegation unter Andor auf wenig ermutigende Fakten. "Wir müssten schon viel weiter sein", meint der ungarische Kommissar nach der Konferenz. "Die Ausgangssituation ist schlecht. Es kann nur besser werden."
Die rumänische Regierung habe zumindest eingesehen, dass sie zu handeln beginnen müsse, heißt es. Denn bisher liegt Rumänien schon allein bei der Nutzung der EU-Mittel abgeschlagen zurück. "Es ist extrem dringend, die Geschwindigkeit zu erhöhen", warnt der zuständige Direktor in der EU-Kommission, Rudolf Niessler. "Ansonsten gehen die Mittel verloren." Um den Rumänen unter die Arme zu greifen, will die Kommission künftig Schlüsselkräfte in der rumänischen Verwaltung im richtigen Umgang mit den EU-Fonds schulen.
Denn die enormen Engpässe bei den Verwaltungsbehörden müssten beseitigt werden, zum Teil sei das Geld sogar versickert, heißt es in Kommissionskreisen. Kein Einzelfall sei die Erfahrung der Initiative "Romani Criss", die sich um die Durchmischung von Kindern der Roma und der Rumänen bei schulischen Aktivitäten einsetzt. Vier Millionen Euro hat die EU-Kommission vor zwei Jahren bewilligt, wie Programmkoordinatorin Cezara David erzählt. Gesehen habe sie dagegen noch keinen Euro; schuld daran sei vor allem die Verwaltung im Land. Oft habe die vorgeschriebene Auszahlfrist von 45 Tagen in der Praxis kaum Relevanz, bedauert eine Kommissionsexpertin. So sollen aus dem Europäischen Sozialfonds bisher knapp 500.000 Euro nach Bukarest überwiesen worden sein, was gut 13 Prozent der möglichen Mittel entspricht. Bei den Bedürftigen angekommen sei dagegen erst knapp ein Prozent, also rund 37.000 Euro.
Schleppende Erfassung
Rasche Fortschritte bei der besseren Einbindung der zehn bis zwölf Millionen Roma in der EU scheinen unmöglich: Ganz oben auf der Prioritätenliste stünden die frühzeitige Einschulung der Roma-Kinder und die Eingliederung der Erwachsenen in den Arbeitsmarkt, sagt Andor. Die Verantwortung der Eltern sei, die Kinder in die Schule zu schicken. Doch das ist leichter gesagt als getan: Laut offizieller Volkszählung leben in Rumänien gut 500.000 Roma. Schätzungen gehen freilich davon aus, dass die Minderheit um die 2,5 Millionen Menschen umfasst - zwei Millionen davon sind nicht einmal registriert und könnten daher auch nicht von Einschulungsprogrammen angesprochen werden.
Erstes konkretes Zugeständnis der rumänischen Regierung: Die Registrierung solle ehrgeiziger als bisher verfolgt werden. Andor will EU-weit in fünf Jahren erste Ergebnisse seiner Initiative für die Roma sehen. Experten meinen, dass eine Strategie für die dauerhafte Änderung der Zustände in Ferentari über mindestens 20 Jahre angelegt werden müsste.