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Die unsichere Küste

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Wäre ein Angriff durch Terroristen vom Meer aus auch in den USA denkbar? Diese Frage drängt sich nach den Anschlägen in Bombay auf. Und die Antwort darauf lautet Ja.


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Wie bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stand auch am Beginn der Massakerwelle von Bombay eine Entführung. In diesem Fall brachten militante Islamisten allerdings nicht ein Flugzeug, sondern ein Fischerboot in ihre Gewalt. Sie bewiesen jedoch das gleiche tödliche Können, eine komplexe Operation zu koordinieren, wie ihre 9/11-Vorgänger.

Die Bombay-Terroristen sollen aus der pakistanischen Untergrundorganisation Lashkar-i-Taiba stammen, die lose Verbindungen zur Al-Kaida hat. Der Auftakt zu ihrem Anschlag waren der Überfall auf ein Boot und die Ermordung des Kapitäns. Als sie sich am 26. November der Küste im Hafen von Bombay näherten, ließen sie mehrere Rettungsboote ins Wasser, um an Land zu kommen. Der Anschlag war bis ins Kleinste geplant: Die Terroristen stürmten - bestens mit Waffen, Munition und Vorräten versorgt - ihre vorher penibel ausgekundschafteten Ziele.

Die Bombay-Anschläge erinnern uns daran: Die Gefahr, die von der Al-Kaida und anderen terroristischen Organisationen ausgeht, besteht noch. Die Terroristen verfügen über die nötige Ausbildung, die logistische Unterstützung und vor allem die Entschlossenheit. Sie sind gut darin, die Achillesferse ihrer Feinde aufzuspüren - in diesem Fall zum Beispiel, dass die Polizei große Probleme hatte, mit den sich ständig bewegenden Terroristen fertig zu werden. Und es sieht ganz danach aus, als hätten sie mit dem Anschlag auch ein klares strategisches Ziel verfolgt, nämlich die Spannungen zwischen Indien und Pakistan zu schüren, gerade jetzt, wo die beiden gemeinsam gegen den Terrorismus vorgehen wollten.

Besonders für Amerikaner stellte sich angesichts dieses Terroranschlags die Frage: Könnte das auch in den USA passieren? Ja, sagen US-Regierungsbeamte. Die zweite Frage: Würden die USA von einem neuen 9/11-artigen Terroranschlag getroffen, was wäre zu tun?

Schon seit mehr als einem Jahr ist das US-Heimatschutzministerium über mögliche Angriffe vom Meer aus besorgt. Die Verwundbarkeit ist groß: Geschätzte 17 Millionen kleine Schiffe sind ständig vor der tausende Kilometer langen US-Küste unterwegs. Vier Sicherheitsgipfel in Sachen Schifffahrt wurden schon abgehalten. Ein fünfter soll im Jänner in Houston stattfinden.

Ausgefeilte Technologien für den Abwehrkampf werden zwar ständig verbessert, aber gegen vergleichsweise einfache Schützen, die vom Meer aus angreifen, ist man ziemlich hilflos.

Und was würde geschehen, wenn Terroristen nach dem Vorbild von Bombay US-Städte überfielen? In den meisten Teilen des Landes wäre die Polizei auf diese Art des Stoßtrupp-Terrorismus nicht gut vorbereitet. Polizisten werden darauf trainiert, das Gebiet, in dem der Anschlag stattfindet, abzuriegeln und Spezialeinheiten zu verständigen. Was aber, wenn die Terroristen immer wieder ihren Standort wechseln?

"Die US-Polizeikommandanten sollten schon einmal zu beten anfangen", sagte nach den Anschlägen von Bombay ein früherer CIA-Mitarbeiter und Mitorganisator eines Antiterror-Pilotprogramms des Heimatschutzministeriums: "Mehrere Schützen, mehrere Orte, wahllose Angriffe auf alle, die gerade da sind, rascher Standortwechsel, gut ausgestattet, gut trainiert - und bereit zu sterben."

Die Anschläge von Bombay haben eindrucksvoll die Terrorgefahr für alle Städte weltweit aufgezeigt. Darüber zu sprechen, soll keine neue Antiterror-Hysterie schüren. Davon hatten wir nach 9/11 mehr als genug, und es fügte den USA fast so viel Schaden zu wie vorher der Anschlag. Die Herausforderung ist vielmehr, den Gegner zu verstehen: Erfolgt eines Tages tatsächlich ein Anschlag, wissen die Behörden dann, wie sie reagieren müssen.

Übersetzung: Redaktion

briefausdenusa@wienerzeitung.at