Das Wissen über die Corona-Variante ist noch immer dünn. Die Hoffnung, dass Österreich ohne neuen Lockdown durch die Omikron-Welle kommt, auch.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Omikron-Welle rollt. In Südafrika erreichte die Zahl der täglichen Neuansteckungen jüngst mit knapp 27.000 einen neuen Pandemie-Höchstwert. Auch in Europa gibt es in den stark von der Variante betroffenen Ländern neue Höchststände. In Dänemark verdoppelt sich die Zahl der Neuinfektionen alle zwei Tage, was zu einer Maßnahmen-Notbremse der Regierung führte: Ministerpräsidentin Mette Frederiksen kündigte am Freitag an, dass etwa Museen, Theater und Veranstaltungslokale schließen müssen. Am Freitag fiel mit 11.194 Ansteckungen auch der bisherige dänische Pandemie-Rekord. In Großbritannien warnten Epidemiologen gar, dass es bis Weihnachten im schlimmsten Fall zu rund einer Million Neuinfektionen täglich kommen könnte.
In Österreich liegen die bestätigten Fälle zwar noch im zweistelligen Bereich. Das wird sich vermutlich bald ändern. Die Corona-Kommission warnte am Donnerstag eindringlich, die Omikron-Welle werde wahrscheinlich "erhebliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Beeinträchtigungen" produzieren. Das Systemrisiko, also die Gefahr einer Überlastung der Gesundheitsversorgung, schätzte sie als "sehr hoch" ein.
Weniger Hospitalisierungen in Südafrika
Für genauere Prognosen ist die Datenlage nach wie vor zu dünn. Hinzu kommt, dass aus anderen Ländern auch immer wieder widersprüchlich scheinende Nachrichten auftauchen. Mitunter auch leicht positive: Während sich Omikron etwa in ganz Südafrika rasend schnell ausbreitet, scheint sich im bisherigen Epizentrum, der Provinz Gauteng, eine Entspannung abzuzeichnen: Es gebe erste Anzeichen, dass dort der Höhepunkt überschritten sei, sagte Südafrikas Gesundheitsminister Joe Phaahla am Freitag.
Und: Die Hospitalisierungsrate in Südafrika ist - inmitten der so stark steigenden Infektionszahlen - im Vergleich zur Delta-Welle gesunken. Konkret: Während in der zweiten Woche der von der Delta-Variante getriebenen dritten Welle 19 Prozent der Corona-Infizierten ins Krakenhaus mussten, waren es in der zweiten Woche der von Omikron getragenen vierten Welle nur 1,7 Prozent. Auch die Todeszahlen sind relativ gesehen niedriger als bei der Delta-Variante. Das könnte im besten Fall auf einen milderen Verlauf der von Omikron ausgelösten Erkrankungen in Südafrika hindeuten.
Was aber lässt sich aus diesen Zahlen für Österreich schließen? Nicht allzu viel, sagt Virologin Judith Aberle im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "In Südafrika gibt es um die 80 Prozent Corona-Immunisierte", so die Virologin. Die meisten davon sind aber nicht aufgrund einer Impfung, sondern wegen einer überstandenen Infektion mit Covid-19 immunisiert. Vor allem, wie schwer eine Omikron-Infektion unter Ungeimpften tatsächlich verläuft, kann daher aus den Daten aus Südafrika nicht abgeschätzt werden. Und damit umso weniger, wie die Omikron-Welle in Österreich verlaufen könnte, wo noch unter 70 Prozent vollständig geimpft sind - aber eben auch viel weniger Menschen genesen als in Südafrika. "Wie schnell sich das Virus verbreitet und wie schwer die Krankheit vor allem bei den nicht vollständig Geimpften und nicht Genesenen verläuft, wird entscheidend für unser Gesundheitssystem sein", sagt Aberle. Der zweite entscheidende Unterschied, der Vergleiche schwierig macht, ist die Altersstruktur: Das Durchschnittsalter in Südafrika beträgt gerade einmal 27 Jahre.
Rigidere Lockdowns mit Ausgangssperren denkbar
Grundsätzlich gilt für die Auswirkungen von Omikron nach wie vor: Wir wissen, dass wir zu wenig wissen. Konsens herrscht unter Epidemiologen, Virologinnen und Prognostikern aber darüber, dass sich die Mutation auch hierzulande durchsetzen wird - und die Ansteckungszahlen jene der bisherigen Varianten wohl deutlich übersteigen werden.
Denn selbst, wenn die Verläufe mit Omikron schwächer wären, würde die deutlich höhere Ausbreitungsgeschwindigkeit zu einem raschen Ansteigen der Fallzahlen und damit letztlich auch der Hospitalisierungen führen, sagt Aberle. Hinzu kommt: der gegenüber Omikron deutlich gesunkene Immunschutz sowohl bei Geimpften als auch bei Genesenen.
Ein angepasster Impfstoff könnte frühestens im April verfügbar sein. Bis zu einer breiteren Durchimpfung der Bevölkerung würden auch ab dann noch mehrere Monate vergehen. Ist es da nur irgendwie realistisch, ohne weitere Lockdowns durch die Omikron-Welle zu kommen? Erst recht, wenn man bedenkt, dass auch die bisherigen drei Wellen mit weit weniger infektiösen Varianten hierzulande nur mit Zusperren gebrochen werden konnten?
Der eine leise Hoffnungsschimmer besteht in doch deutlich milderen Verläufen. Der andere in der Wirksamkeit der "Booster"-Impfung, die auch gegen Omikron 70 bis 75 Prozent Schutzwirkung bieten könnte. Hoffnung gehört allerdings nicht zu den Grundlagen der Wissenschaft, merkt Aberle an.
Komplexitätsforscher Peter Klimek verweist gegenüber dieser Zeitung zudem auf die vorliegenden Daten aus Dänemark, "die jedenfalls nicht auf deutlich mildere Verläufe hindeuten". Durch die viel schnellere Ausbreitung müssten Verläufe aber wesentlich schwächer sein, um die steigenden Fallzahlen auch nur annähernd "ausgleichen" zu können. "Ein um 20 Prozent milderer Verlauf würde da nicht reichen", sagt Klimek. Wenn die pessimistischen Szenarien eintreten, müsse man "über den grundsätzlichen Ansatz nachdenken, wie wir die Pandemie bekämpfen wollen". Dazu könnten zwar auch rigidere Lockdowns, etwa mit Ausgangssperren statt Ausgangsbeschränkungen, gehören. Lockdowns können aber keine Dauerlösung für mehrere Monate sein. Deshalb sei auch ein gemeinsames und koordiniertes europäisches Vorgehen entscheidend, so der Wissenschafter.