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Die unterschätzte Pflege daheim

Von Ulrike Famira-Mühlberger

Gastkommentare
Ulrike Famira-Mühlberger ist stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts.

Das Pflegepotential der Angehörigen wird auf lange Sicht zurückgehen.


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Diese Woche hat das Wifo gemeinsam mit Gallup den Wifo-Gallup-Meinungscheck zum Thema der Pflege vorgestellt (die "Wiener Zeitung" berichtete). Dabei wurden 1.000 Personen über 14 Jahre zu ihrer Erfahrung im Bereich der Pflege sowie zu deren Meinung zu Pflegethemen befragt.

Das für mich erstaunlichste Ergebnis war die starke Unterschätzung der Pflege daheim bzw. die Überschätzung der Pflege in Pflegeheimen. Die Befragten meinten, dass rund die Hälfte der pflegebedürftigen Personen in Pflegeheimen betreut würden. Tatsächlich ist es allerdings nur rund ein Fünftel der pflegegeldbeziehenden Personen.

Wir beobachten also eine drastische Unterschätzung der Pflege daheim in Österreich. Ein Großteil der Menschen, die zu Hause - in der Regel von Angehörigen - gepflegt werden, nehmen darüber hinaus keine zusätzlichen Pflegedienstleistungen (wie z.B. mobile Dienste oder 24-Stunden-Betreuung) in Anspruch. Im Gegensatz zur Einschätzung der befragten Personen, liegt der Fokus in der Langzeitpflege in Österreich auf der Angehörigenpflege, die durch das Pflegegeld unterstützt wird. Hier unterscheidet sich Österreich von den meisten westeuropäischen Staaten, die in der Regel mehr öffentliche Ressourcen zu Pflegedienstleistungen wie mobile Dienste oder stationäre Dienste lenken.

Ein weiteres Ergebnis des Wifo-Gallup-Meinungschecks ist jedoch, dass der Großteil der Befragten zu Hause gepflegt werden möchte, sobald dies nötig sein sollte. Dieser Wunsch der Befragten könnte künftig jedoch nicht erfüllbar sein, denn das Pflegepotenzial der Angehörigen wird zurück gehen. Es werden künftig - bedingt durch die gestiegene Bildung von Frauen - mehr Frauen in einem höheren Ausmaß beschäftigt sein. Außerdem werden die pflegebedürftigen Personen in 15 oder 20 Jahren aufgrund der gesunkenen Geburtenraten weniger Kinder haben, die die Pflege potenziell übernehmen könnten.

Gleichzeitig mit der Präsentation des Wifo-Gallup-Meinungschecks ging auch die Begutachtungsfrist für die ersten Teile der Pflegereform zu Ende. Wichtige erste Maßnahmen, die vor allem darauf abzielen, die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte etwas zu verbessern sowie die Pflegeausbildung finanziell besser zu unterstützen, liegen nun vor.

Auch wenn die Freude darüber, dass erste Teile der Pflegereform nun in Umsetzung gehen, allgemein groß ist, werden die vier vorliegenden Gesetzesvorhaben dennoch breit kritisiert. Ich kann die Kritik auch weitgehend nachvollziehen, vor allem weil manche Details - wie z.B. die anvisierte Lohnerhöhung dann auch wirklich bei den Pflegekräften ankommt - noch zu verhandeln sind. Und einige Teile des im Mai angekündigten 21-Punkte-Maßnahmenprogramms sind noch nicht in den vorliegenden Gesetzesentwürfen umgesetzt.

Eine wesentliche Frage ist noch weitgehend unbearbeitet: wie und in welchem Ausmaß werden Pflegedienstleistungen - von der mobilen und stationären Pflege bis hin zu Kurz- oder Teilzeitpflege - angesichts der größer werdenden Anzahl von pflegebedürftigen Mensch in Zukunft ausgebaut? In gut zehn Jahren werden wir eine wesentlich raschere Zunahme der pflegebedürftigen Menschen beobachten als heute und gleichzeitig einen Rückgang der informellen Pflege. Auch darauf sollte der Fokus der Politik rasch gelegt werden.

So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.