Ma Thida war während der Militärjunta in Myanmar politische Gefangene. Meditation half ihr damals, ihre Haft zu überstehen.
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Rangun/Wien. Als Ma Thida aus dem Gefängnis kam, bedankte sie sich bei denen, die sie eingesperrt hatten. "Ohne diese Pause in meinem Leben hätte ich mich niemals so in die Meditation vertiefen können", erzählt die Schriftstellerin aus Myanmar (Burma). "Dadurch habe ich das eigene Selbst und damit das Universum besser verstehen gelernt."
Ma Thida war von 1993 bis 1999 eingekerkert. Damals herrschten die Militärs in dem südostasiatischen Land mit eiserner Hand. Sie hatte sich für Demokratisierung eingesetzt, für Meinungsfreiheit und Bürgerrechte gekämpft, sich für die politische Opposition engagiert.
"Ich hatte damit gerechnet, ins Gefängnis zu kommen", berichtet Ma Thida, deren Memoiren demnächst auf Englisch erscheinen werden. Denn viele ihrer Mitstreiter waren schon eingesperrt. Schließlich landete sie im Insein-Gefängnis in Rangun. In der berüchtigten Haftanstalt saßen Kriminelle, aber auch viele politische Gefangene ein. Insein wurde zu einem Symbol der Unterdrückung und des Kampfes gegen die Militärjunta, die von 1962 an rund fünfzig Jahre uneingeschränkt herrschte.
Doch auch wenn sie schon viel über die Zustände in dem Gefängnis gehört hatte, lag dann vieles außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Nicht, dass sie sich über die Bedingungen - so war sie etwa oft isoliert - falsche Vorstellungen gemacht hätte. "Ich war überrascht, wie schnell die Leute ihren Überzeugungen über Bord warfen", berichtet Ma Thida, die auf Einladung des Instituts für Internationale Entwicklung der Universität Wien in Österreich war der "Wiener Zeitung".
Das Gefängnispersonal hätte den Häftlingen seine Macht spüren lassen, ständig Druck ausgeübt. Viele Gefangene, ob Kriminelle oder aus politischen Gründen Eingesperrte, gaben dieser Erpressung nach, indem sie ihre Peiniger bestachen - vor allem, wenn es darum ging, körperliche Leiden dadurch zu schmälern.
Ma Thida weigerte sich, dabei mitzumachen. "Wenn ich das System des Schmiergeldes hätte mittragen wollen, dann hätte ich gleich außerhalb der Gefängnismauern Beamten bestechen und dort Karriere machen können."
So stritt Ma Thida, die selbst ein Medizinstudium absolviert hatte, sich lieber mit der Chefärztin über angemessene Behandlungen für Gefangene. Dabei war sie zeitweise vollkommen abgemagert, wog weniger als 40 Kilo, weil sie neben anderen Krankheiten an Tuberkulose litt.
Antwort auf Macht der Wärter
Es war, kann man vielleicht sagen, Ma Thidas Art, die äußere Macht der Wärter zu brechen, indem sie sich ihr innerlich nicht unterwarf - egal, welche Konsequenzen das für sie haben würde. Sie bestand darauf, mit dem Gefängnispersonal auf Augenhöhe zu sprechen. Sie setzte den Zuständen im Gefängnis die buddhistische Vipassana-Meditation entgegen. "Das gab mir mehr Kraft", sagt sie.
Wie die Meditation genau funktioniere, sei kompliziert zu erklären. Kurz gesagt, ginge es um die Beziehung zwischen Körper und Geist, wodurch man sich selbst und seine Mitmenschen besser verstehen würde. Dabei würde sich die Grenze zwischen Gut und Böse auflösen, das eigene Ich sich relativieren und man würde lernen, auf Mitmenschen nicht mit Hass, auf äußere Umstände nicht mit Wut zu reagieren, sondern der Welt mit innerer Ausgeglichenheit zu begegnen.
Als Ma Thida dann 1999 wegen ihres schlechten gesundheitlichen Zustandes aus dem Gefängnis entlassen wurde, hatte sich an den Verhältnissen in ihrem Land wenig geändert. Und noch mehr als ein weiteres Jahrzehnt sollte die Junta herrschen und keine politische Alternative neben sich dulden.
Doch dann leiteten die international zusehends isolierten Militärs in dem vollkommen herabgewirtschafteten Land eine Demokratisierung ein. Heute sitzen viele ehemaligen Insassen des Insein-Gefängnisses in Parlament und Regierung. Die einst von der Junta verfolgte Nationale Liga für Demokratie (NLD) hat die Wahl im vergangenen Jahr haushoch gewonnen. Allerdings hatte sich die Armee schon im Vorfeld abgesichert, sodass sie weiter viel Einfluss behält: Einzelne Schlüsselministerien wie das für Inneres unterstehen weiter dem Militär, für das auch ein Viertel der Parlamentssitze reserviert sind. Dadurch kann die Armee Verfassungsänderungen blockieren.
Doch laut Ma Thida herrsche in den Köpfen der Bürger ohnehin noch die Diktatur. Denn jahrhundertelang hätte das Land nichts anderes gekannt. Zwar gab es nach dem Erlangen der Unabhängigkeit 1948 eine kurze demokratische Phase. Doch schon vor der Machtergreifung des Militärs 1962 herrschten die britischen Kolonialherren oder Monarchen. "Probleme wurden immer mit Gewalt und Brutalität gelöst", sagt Ma Thida. "Die Leute haben nicht erfahren, wie man sie friedlich lösen kann." Das ist laut Ma Thida auch die Wurzel der Gewaltausbrüche, die sich in dem großteils buddhistischen Land gegen Moslems abspielen.
In Myanmar wurden immer wieder Moscheen angezündet, in der Stadt Mandalay jagte 2014 ein buddhistischer Mob Moslems mit Stöcken und Schwertern und im Bundesstaat Rakhine kam es bereits 2012 zu schweren Ausschreitungen gegen die moslemische Minderheit der Rohingya, die bis heute teilweise in Lagern leben müssen.
Die Peiniger sind unerreichbar
Laut Ma Thida, die früher selbst als Chirurgin für das Free Muslim Hospital in Rangun gearbeitet hat, spiegeln sich in diesen Übergriffen Wut und Angst der Bürger wider. "Die ganze Geschichte hindurch haben die Menschen in Myanmar gelernt, dass nur diejenigen sich sicher fühlen können, die die Macht besitzen", erklärt die Autorin. Wer keine Macht hat, ist schutzlos, und deshalb ist die Angst tief verwurzelt in der Gesellschaft. "Und diese Angst macht die Menschen selbstbezogener, sie wollen sich selbst schützen und achten weniger auf andere. Dabei werden sie aber wütend und verbittert."
Die Bürger wollen ihren Zorn ausleben, können aber keine Vergeltung an ihren Peinigern - etwa hohe Militärs und Beamte - nehmen. "Denn diese sind viel zu mächtig. Somit suchen sie jemanden, an dem sie ihren Hass und ihren Ärger abreagieren können, der aber keine Vergeltung an ihnen nehmen kann. Deshalb werden Minderheiten zum Ziel", sagt Ma Thida, die selbst nicht der Mehrheitsbevölkerung der Burmesen angehört, sondern unter deren Vorfahren sich Shan, Mon und Chinesen befinden.
Hinzu käme, dass das Militär die Wut der Bevölkerung auch gezielt auf Moslems lenke. Ma Thida stimmt hier mit anderen Beobachtern überein, die ebenfalls meinen, dass die anti-moslemischen Ausschreitungen oft viel weiger spontan ausbrechen, als es wirken mag. So kam es in Mandalay zu Gewaltausbrüchen, just einen Tag bevor die NLD eine Großdemonstration für eine Verfassungsreform abhalten wollte, die die Armee ablehnt. Zudem scheinen Teile des Militär mit buddhistisch-nationalistischen Vereinen verbandelt, rührten diese doch bei der Wahl die Werbetrommel für die von der Armee gegründete Partei Union für Solidarität und Entwicklung.
Ma Thida wünscht sich, dass dieser unheilvolle Kreislauf von Wut, Angst und Gewalt endlich durchbrochen wird. "Aber das ist ganz, ganz schwierig."
Sie selbst will mit Literatur dazu beitragen. Die 50-Jährige ist nicht nur Autorin und politische Kommentatorin, sondern auch Präsidentin des PEN-Clubs von Myanmar. Sie veranstaltet literarische Abende, gibt Publikationen heraus, die Stimmen aus dem ganzen Land sammeln. Nicht die Macht soll den Menschen ein Sicherheitsgefühl geben, sagt sie. "Sondern Bildung und Wissen."