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Die Unwirklichkeit im Forellenkleid

Von Simon Rosner

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Olympia hat schon allerhand Überraschungen zu bieten gehabt, inklusive einer Selbstbeschuldigung von Markus Rogan.


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"Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit trägt wirklich ein Forellenkleid", sang André Heller im Jahr 1976. Aber da wusste er ja auch noch nicht, dass 36 Jahre später die erst 16-jährige Chinesin Ye Shiwen Gold über 400 Meter Lagen gewinnen und dabei die letzte Länge schneller bewältigen sollte als der US-Superstar Ryan Lochte. Offenbar war es hier die Unwirklichkeit, die sich ins Forellenkleid geworfen hat. Ye Shiwen hatte aber natürlich eine Erklärung: "Wir haben ein gutes Training auf wissenschaftlicher Basis." Um welche Wissenschaften es sich dabei handelt, verriet Ye Shiwen nicht. Physik? Chemie? Man weiß es nicht.

Bei Olympischen Spielen ist die Unwirklichkeit aber sowieso an allen Ecken und Enden anzutreffen, bisweilen ist sie auch in den Gesichtern jener Athleten auszumachen, die als Favoriten angetreten und als Geschlagene wieder abgetreten sind. Radfahrer Mark Cavendish ist als designierter Olympiasieger ins Straßenrennen gegangen, die Briten setzten alles auf ihn - und gewannen nichts. Und dass die spanischen Fußballer nach einem 0:1 gegen Honduras vorzeitig gescheitert sind, ist auch irgendwie unwirklich. Aber Medaillen werden bei Olympia eben immer noch in Wettkämpfen vergeben, nicht durch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit.

Doch es ist eben auch diese Erwartungshaltung, die einen Wettkampf stark beeinflussen kann. Jeder erwartete einen Sprint zu Gold von Cavendish, offenbar auch die Gegner, die alles versuchten, um genau das zu verhindern: einen Massensprint auf der Zielgeraden. Wäre Cavendish beispielsweise wegen einer Verletzung gar nicht angetreten, hätte das Rennen einen ganz anderen Charakter gehabt. Und wäre es nicht der unbedingte Anspruch von Ryan Lochte und Michael Phelps, der erfolgreichste Athlet dieser Spiele zu werden, hätten die USA wohl noch eine Goldene mehr gewonnen. Denn in der Freistil-Staffel büßte ein offenbar schon etwas müder Lochte den Vorsprung auf Frankreich noch ein. Er schwamm langsamer als Matthew Grevers, der im Vorlauf eingesetzt wurde. Vielleicht war es auch ein Fall von falscher Selbsteinschätzung. Das kann schon einmal passieren, wie auch Kollege Markus Rogan in einem Ö3-Interview bewies: "Ich glaube, es ist ein Riesenvorteil, wenn du weniger denkfähig bist. Es gibt einen guten Grund, warum die richtig guten Sportler nicht viel im Kopf haben", sagte Rogan, der 34-facher Medaillengewinner bei Großereignissen. Und er ergänzte seine Theorie mit einem guten Argument: "Ich habe unglaublich viel Geld verdient, aber ich habe fast alles ausgegeben."