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Die Ureinwohner wollen den "Weg der Heilung" beschreiten

Von Nicole Schabus

Politik

Die indigene Bevölkerung Australiens, Aborigines und Torres Strait-Islanders, beging bis gestern, Donnerstag, eine Reihe wichtiger Gedenktermine sowie die "Woche der Wiederversöhnung". Zudem | begann mit dem 26. Mai eine neue Initiative, das Unrecht, das die Ureinwohner durch die dominante (weiße) Gesellschaft erfahren haben, und die daraus entstandenen seelischen Verletzungen | aufzuarbeiten, was als "Weg der Heilung" ("Journey of Healing") bezeichnet wird.


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Der 26. Mai wurde von indigenen Organisationen erstmals 1998 als "National Sorry Day" ausgerufen, ein Jahr, nachdem der Bericht des nationalen Untersuchungsausschusses über die Trennung

von Aborigine- und Torres Strait Islander-Kindern von ihren Familien den Parlamenten der australischen Bundesstaaten vorgelegt worden war.

Der "Weg der Heilung" bezieht sich insbesondere auf die Phase der Assimilierungspolitik von 1930 bis 1973. In dieser Zeitspanne war es erklärtes Ziel offizieller Stellen, den Indigenen den Lebensstil

der (weißen) Mehrheitsbevölkerung aufzuzwingen, um sie so in die dominante Gesellschaftsform "einzugliedern". Der kalkulierte Preis dafür war die Zerstörung der Kultur der Aborigine- und Torres

Strait Islander-Gruppen.

Womit man aber nicht gerechnet hatte, war der soziale Zusammenhalt und die Stärke der verschiedenen Kulturen, die bis heute ihre Eigenart bewahrt haben. So erreichten die Aborigines, daß diese

politischen Strategien gestoppt wurden, und jetzt fordern sie die Wiedergutmachung aller historischen Ungerechtigkeiten. Aus diesem Grund wurde der genannte nationale Untersuchungsausschuß

eingerichtet.

Mit 26. Mai 1997 lag der Bericht, der "Bringing Them Home Report", den Parlamenten der Bundesstaaten vor. Und damit schwarz auf weiß die tragische Wahrheit, daß in den letzten drei

Generationen jede eingeborene Familie Australiens von der Assimilierungspolitik betroffen war.

Die Kinder wurden gewaltsam von ihren Familien getrennt und sind heute als "Stolen Generations" bekannt. Sie wurden in Erziehungsheimen oder "weißen" Familien, fern ihrer eigenen Kultur, großgezogen.

Die daraus resultierenden Traumata wirken bei Eltern und Kindern bis heute fort, zum Teil haben sie sich über die Generationen vervielfacht.

54 Empfehlungen

Der Untersuchungsausschuß gab der Regierung 54 Empfehlungen, wie auf diese Tatsachen zu reagieren sei. Damit sollte ein "Heilungsprozeß" bei den betroffenen Gruppen eingeleitet werden und dem

parallel laufenden Wiederversöhnungsprozeß mit der weißen Bevölkerung eine Basis gegeben werden.

Inzwischen war jedoch die neue liberale Koalitionsregierung auf Bundesebene ins Amt gewählt worden. Sie löste 1996 die Labour-Regierung ab, die die Untersuchung eingeleitet hatte. Premierminister

John Winston Howard sprach sich im Dezember 1997 in einer öffentlichen Stellungnahme gegen eine Entschuldigung aus. Statt Wunden zu heilen, wurden die Wunden vertieft.

Anders die Regierungen einiger australischer Bundesstaaten, wie zuletzt die von Queensland, und kirchliche Institutionen: Sie entschuldigten sich öffentlich bei den Opfern.

Howard stellte sich mit seiner Haltung auch gegen den internationalen Trend im Umgang mit indigenen Völkern. So hatte zum Beispiel Kanada eine ähnliche Untersuchung durchgeführt ("Royal Commission on

Aboriginal Peoples"). Und obwohl sich auch die kanadische Regierung zu keiner umfassenden Entschuldigung aufraffen konnte, sprach die zuständige Ministerin für indigene Angelegenheiten allen

Betroffenen ihr Bedauern aus.

Umfragen ergaben, daß die australische Öffentlichkeit mit Howards Politik mehrheitlich nicht übereinstimmt. In einem noch nie dagewesenen Ausdruck öffentlichen Bedauerns nahmen am 26. Mai 1998

hunderttausende Australier am "National Sorry Day" teil und brachten ihr persönliches Bedauern für all das geschehene Unrecht zum Ausdruck.

1999 begann für die indigene Bevölkerung Australiens mit dem 26. Mai eine neue Initiative, der "Weg der Heilung". Auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene wurden Veranstaltungen abgehalten, die

das öffentliche Bewußtsein über die historische und gegenwärtige Benachteiligung der Aborigines stärken, und so eine Heilung bei den Betroffenen und ein Zusammenfinden der schwarzen und der

weißen Bevölkerungsgruppen ermöglichen sollen. Nochmals erzählten viele Angehörige der "Stolen Generations" ihre traurige Geschichte und betonten ihre Forderung nach einer Entschuldigung.

Für Wiederversöhnung

Die "Woche der Wiederversöhnung" ("Week of Reconciliation"), die als solche schon 1996 eingerichtet wurde, begann mit dem 27. Mai. Denn am 27. Mai 1967 stimmten in einem historischen Referendum

mehr als 90 Prozent der weißen australischen Bevölkerung für die volle Einräumung von Staatsbürgerschaftsrechten für Aborigines. Erst seit etwas mehr als 30 Jahren also können Aborigines ihr

politisches Schicksal mitbestimmen, indem sie wählen und vor Gericht gehen dürfen. Seither haben sie aktiv die Anerkennung ihrer historischen und kulturellen Sonderstellung eingefordert. Ein

besonderes Anliegen war dabei immer die Anerkennung ihrer Landrechte.

In der "Mabo"-Entscheidung vom 3. Juni 1992 anerkannte das Oberste Gericht von Australien Landrechtsansprüche indigener Gruppen, "Native Title", auf ihr traditionelles Land, soweit dies nicht von

Weißen besiedelt war. Mit dem siebenten Jahrestag dieser wichtigen Entscheidung, die als erste das Bestehen unabhängiger eingeborener Rechtssysteme anerkennt, endete die Woche der Wiederversöhnung.

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Nicole Schabus, die in Österreich und Australien studierte, lebt als Juristin in Wien und engagiert sich innerhalb der Gesellschaft für bedrohte Völker·Österreich für australische Aborigines

sowie für die Anerkennung der Rechte indigener Völker auf internationaler Ebene.