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Die US-Gründerväter im Kulturkampf

Von Franz-Stefan Gady

Politik
1787 unterfertigten die Delegierten aus 13 Bundesstaaten in Philadelphia die US-Verfassung. Für die Republikaner gilt bis heute jede Kritik an der amerikanischen Revolution und den Ideen der Gründerväter als Sakrileg.
© getty images

Die Verfassung und ihre Autoren galten in den USA immer als sakrosankt. Doch in Donald Trumps Amerika ist auch die insgeheime Staatsreligion zum Schlachtfeld geworden. Es geht um Rassismus, Tabubrüche und den Wunsch nach Veränderung.


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Washington DC Mitte September. Die Rotunde des Nationalarchivs ist in Dunkelheit getaucht. Die wenigen Gäste sind im dämmrigen Licht kaum auszumachen. Scheinwerfer erhellen das Rednerpult. Dahinter steht mit entschlossener Miene Donald Trump. Die Gründerväter der Vereinigten Staaten, die Amerikas Präsidenten auf zwei großen Wandgemälden rechts und links flankieren, wirken gespenstisch fern. Ihnen gilt aber die gesamte Aufmerksamkeit an diesem Tag. Der Präsident verkündet die Schaffung eines neuen Gremiums, der sogenannten "1776-Kommission", welche die "patriotische Erziehung" in Amerikas Schulen "wiederherstellen" soll.

Patriotische Erziehung, dieser Begriff erinnert mehr an das kommunistische China als an das Bildungssystem eines freien Landes. Trump und seine Unterstützer fürchten jedoch um das Ende der amerikanischen Geschichte. Zumindest ist das ihr Vorwand. Dutzende Statuen historischer Persönlichkeiten, darunter die des ersten Präsidenten des Landes, George Washington, und jene des Hauptautors der Unabhängigkeitserklärung, Thomas Jefferson, beides Gründerväter der USA, sind in den vergangenen Monaten von linken Demonstranten gestürzt worden. Angeführt werden die Proteste von der "Black Lives Matter"-Bewegung, die die "weißen alten Männer" als Teil einer rassistischen weißen Vorherrschaftsideologie sehen und Abraham Lincolns Stilisierung der USA als "letzte beste Hoffnung der Menschheit" ablehnen.

1776 gegen 1619

Intellektuell angefeuert wurde und wird die "Black Lives Matter"-Bewegung vom sogenannten "1619 Project" des "New York Times Magazine". Dabei handelt es sich um eine 2019 konzipierte, laufende Artikelserie, welche die Rolle der Sklaverei und die Unterdrückung der Afroamerikaner als zentrale Faktoren der amerikanischen Geschichte thematisiert. 1619 ist demnach eine Chiffre. Es ist das Jahr, in dem die ersten Sklaven aus Afrika in die englische Kolonie Virginia geschafft wurden und damit, so die Serienautoren, das eigentliche Jahr, in dem Amerikas Geschichte begann, und nicht 1776, das Jahr der Unabhängigkeitserklärung der 13 Kolonien von Großbritannien. Habe es unter britischer Herrschaft nämlich Pläne zur Abschaffung der Sklaverei gegeben, sei es den Gründervätern der USA, von denen einige wie Washington und Jefferson Sklavenbesitzer waren, hauptsächlich darum gegangen, durch ihre Abspaltung vom Mutterland die Sklaverei in Nordamerika zu erhalten.

Auch wenn die Beweislage für die Pläne der Briten sehr dünn ist, stellt "The 1619 Project" zweifelsohne ein wichtiges Korrektiv in der amerikanischen Geschichtsschreibung dar. Einige Historiker kritisieren jedoch, dass in der Serie die historische Genauigkeit für heutige ideologische Präferenzen geopfert werde. Die politische Rechte und Donald Trump versuchen nun, daraus Kapital zu schlagen, um den Kulturkampf in den USA anzuheizen. Attacken auf die Amerikanische Revolution und die Gründerväter des Landes gelten unter Republikanern nach wie vor als Sakrileg. In ihren Augen diskreditieren solche Angriffe indirekt die insgeheime Staatsreligion in den USA, die Verfassung von 1787, und stellen damit die Existenz des amerikanischen Staates selbst infrage. Mit der Behauptung, die Amerikanische Revolution sei ein Fehler gewesen, da sich ohne das Blutvergießen im 18. Jahrhundert in den USA eine friedlichere, tolerantere Gesellschaft nach dem Vorbild Kanadas entwickelt hätte, haben einige linke Kommentatoren zusätzlich Öl ins Feuer gegossen und in den Augen zahlreicher Republikaner den Verdacht auf politische Blasphemie erhärtet.

Das antike Rom als Vorbild

Um diesen von Trump instrumentalisierten Kulturkampf besser zu verstehen, muss man über die außergewöhnliche Wichtigkeit der Gründervater und der Verfassung für die politische Kultur des Landes Bescheid wissen. Die USA sind seit der ihrer Gründung ein Land der Widersprüche. Das manifestierte sich bereits im Unabhängigkeitskrieg (1775-1783). Im Gegensatz zu vielen anderen Revolutionen war die amerikanische eine Revolution "von oben", ein Aufstand der konservativen Elite des Landes. Diese Elite, angeführt von George Washington, Thomas Jefferson, Benjamin Franklin und John Adams, war gegen eine radikale Neuordnung der amerikanischen Gesellschaft. Vielmehr wollte sie eine per Rechtsweg durch Juristen verordnete Revolution. Aus diesem Grund liest sich die Unabhängigkeitserklärung auch wie eine eidesstattliche Erklärung. Für eine Revolution des gemeinen Volkes war kein Platz. Stattdessen ging es darum, eine konservative Ordnung nach Vorbild der antiken römischen Republik zu schaffen, in der eine ausgewählte männliche Elite im Geiste der Aufklärung das Land im Namen der Bürger regieren sollte.

Dieses Vorhaben stand von Anfang an im Widerspruch zu demokratischen Prinzipien. Doch hatte der Einfluss der römischen Geschichte zunächst zwei direkte Konsequenzen. Die positive: George Washington, der erste Präsident der USA, sah sich als moderner Cincinnatus. So wie der römische General und Staatsmann, der freiwillig aus dem Amt des Diktators schied, trat er nach zwei Amtszeiten ebenfalls freiwillig ab. Damit schuf er den Präzedenzfall einer friedlichen Machtübergabe nach Wahlen, die sich in den USA bis heute erhalten hat. Die negative Folge: Das Vorbild Roms formte und festigte neben dem Alten Testament die Vorstellung, dass Sklaverei natürlicher Teil einer modernen Republik sein könnte - zumindest vorübergehend.

In der Idee einer rechtsstaatlichen, konservativen Revolution nach Vorbild des antiken Roms liegt jedenfalls auch der Ursprung der fast religiösen Verherrlichung der Gründerväter der USA durch die Mehrheit der politischen Eliten, die bis heute die politische Kultur in den USA beeinflusst. Ein interessanter Gradmesser, in welche Richtung sich die amerikanische Politik bewegt, ist bis zum heutigen Tag häufig, wie beliebt einzelne Gründerväter unter verschiedenen Präsidenten sind. So erfreute sich Thomas Jefferson unter George W. Bush großer Beliebtheit, weil sein Feldzug 1801 bis 1805 gegen den Barbareskenstaat als Vorbild für Bushs Krieg gegen Saddam Hussein herhalten konnte. John Adams und Alexander Hamilton wiederum waren unter Barack Obama beliebt. Beide traten für ein starkes Präsidentenamt und eine starke Bundesregierung ein, was sich mit Obamas Auslegung des Amtes überschnitt. Adams war auch ein entschiedener Gegner der Sklaverei. Hamilton, ein Einwanderer aus der Karibik, wiederum fungierte als Symbol für die von Obama herbeigesehnte, multi-kulturelle, post-rassistische Gesellschaft, in der Ausländern der gesellschaftliche Aufstieg möglich sein sollte.

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Mit der Brille der Gründerväter

Die amerikanische Verfassung von 1787 gilt als das bedeutendste politische Erbe der Gründerväter. Sie wird in den USA nach wie vor weitgehend als sakrosankt angesehen. Ihre religiöse Verehrung führte zur Entstehung des Konzeptes des "Originalismus", welches mehrheitlich von konservativen Richtern in den USA vertreten wird. Dieses besagt, dass die Verfassung nur durch die Linse der Gründerväter interpretiert werden kann. Zeitgenössische Auffassungen und Normen sind belanglos. Das bedeutet, dass sich Juristen in den USA bis zum heutigen Tag immer wieder fragen müssen: Was genau war die Absicht der Autoren der Verfassung im 18. Jahrhundert? Dadurch haben die toten Gründerväter ein wichtiges Mitspracherecht in aktuellen politischen Belangen. Auch das linke politische Spektrum sieht die Verfassung als zentralen Baustein der amerikanischen Republik. Obwohl das Dokument von 1787 die Sklaverei nicht verbot, sondern die Macht der Sklavenstaaten sogar stärkte, galt es etwa unter Bürgerrechtlern wie Frederick Douglass oder Martin Luther King Jr. als das wichtigstes Instrument zur Emanzipation der Afroamerikaner.

Kein Raum für Versöhnung

Für "Black Lives Matter"-Aktivistinnen hingegen hat die Verfassung eine patriarchalische weiße Vorherrschaft etabliert, die es zu zerschlagen gilt. Das "1619 Projekt" lieferte die dafür notwendige historische Munition. Mit seiner "1776-Kommission" will Donald Trump diesen Angriffen Paroli bieten und seine Wähler mobilisieren. Die historische Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Barack Obama beschritt diesen Weg der Mitte in seiner Rede am Parteitag der Demokraten im August, in dem er einen versöhnlichen Bogen zwischen dem "1619 Projekt" und den Ideen von 1776 zu spannen versuchte. Die Verfassung sei kein "kein perfektes Instrument" gewesen, sagte er. Es habe die Unmenschlichkeit der Sklaverei erlaubt. Eingebettet "in dieses Dokument war aber ein Nordstern, der zukünftige Generationen führen würde ... eine Demokratie, durch die wir besser unsere höchsten Ideale erfüllen könnten".

Obamas Botschaft verhallte allerdings in dem sich immer mehr zuspitzenden Kulturkampf zwischen Links und Rechts. Die politische Vorliebe seines Nachfolgers Donald Trump gilt im Übrigen keinem der Gründerväter der Vereinigten Staaten, sondern Andrew Jackson. Der siebte Präsident der USA (1829-1837) war erste der rabiate Populist im Amt. Er wetterte gegen die Washingtoner Eliten und besaß über 160 Sklavinnen und Sklaven.