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Die US-Verfassung schützt die "Volksbewaffnung"

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Ressortchef Ausland der "Salzburger Nachrichten".

Wegen miserabler Schießleistungen im Bürgerkrieg 1861 bis 1865 begann 1871 der organisierte Schießsport, damit wuchs der Einfluss der Waffenlobby.


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US-Präsident Barack Obama will nach dem Massaker von Newtown wenigstens den freien Handel mit halbautomatischen Waffen stoppen. Damit gerät er auf ein Minenfeld, das 1791 der Zweite Zusatz zur US-Verfassung gelegt hat: "Weil die Sicherheit eines freien Staates eine gut organisierte Miliz benötigt, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und mit sich zu führen, nicht beeinträchtigt werden." Dieses Grundrecht hat eine prägende Vorgeschichte - ohne Wildwest-Romantik. 1765 begehrten die amerikanischen Kolonien in der "Deklaration der Rechte und Missstände" gegen die britische Krone auf: "Der König hat das Volk (durch ein Waffenverbot) entwaffnet, und daher die Mittel, die Kolonien gewaltsam zu beherrschen und ihnen eine Verfassung zu verwehren." Zehn Jahre später eskalierten die Scharmützel zwischen Kolonialmacht und Kolonien zum Krieg,

1776 erklärten die Kolonien ihre Unabhängigkeit, 1783 gewannen sie den Krieg gegen die Briten, 1789 folgte die US-Verfassung. In der Debatte um den Verfassungszusatz zog George Washington - Sieger über die Briten und seit 1789 erster US-Präsidenten - 1790 in einer berühmten Rede die Bilanz aus dem Unabhängigkeitskrieg: "Feuerwaffen rangieren an Bedeutung gleich nach der Verfassung. Sie sind die Zähne und der Schlussstein der Freiheit des amerikanischen Volkes. Um Frieden, Sicherheit und Glück sicherzustellen, sind Gewehr und Pistole unverzichtbar."

Also sicherten Armee, Sheriffs, Milizen und bewaffnete Bürger Frieden und Unabhängigkeit. Ernüchternd wirkte aber der Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Offiziere waren entsetzt über die miserablen Schießleistungen der eilig eingezogenen Männer. Abhilfe schaffen sollten geförderter Schießsport und regelmäßige Übungen des Volkes. So entwickelte sich aus lokalen Milizen 1903 die militärisch ausgebildete Nationalgarde, die im Notfall bei Unruhen oder Katastrophen eingesetzt wird.

Aber schon 1871 hatte die National Rifle Association (NRA) unter ausdrücklicher Berufung auf den Verfassungszusatz mit der Organisation des Schießsports begonnen. Seither verteidigt sie die "Volksbewaffnung" und tritt mit mehr als vier Millionen Mitgliedern als massive Lobby gegen jede Einschränkung des Zweiten Verfassungszusatzes auf. Verständlich, dass die "Volksbewaffnung" Teil des amerikanischen Mythos ist. Nach dem Massaker von Newtown verschlug es der NRA eine Woche lang die Sprache. Dann kam es aber umso dicker: Noch mehr Waffen unters Volk, damit jeder "good guy" jeden "bad guy" ausschalten kann; also mit noch mehr Waffen den Missbrauch von Waffen bekämpfen.

Die Verfassung kann Obama keinesfalls ändern. Aber es gibt Anzeichen für eine juristische Wortklauberei. Die Verfassung spricht nur von "Waffen", konnte damit nicht automatische Waffen oder gar Panzer meinen. Washington sagte etwas präziser "Gewehr und Pistole". Es würde also genügen, dass der Kongress den Begriff "Waffen" dem entsprechend klar definiert. Das wird aber kein Massaker verhindern. Immerhin wissen die Amerikaner aus ihrer Wildwest-Geschichte besser also sonst jemand, dass gewinnt, wer schneller zieht.