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Islamabad/Neu-Delhi - Über einen Monat ist es schon her, dass die Pakistaner ein Parlament wählen durften, dieses Zugeständnis an die Demokratie hatte Militärmachthaber General Pervez Musharraf den USA machen müssen. Die ihm nahestehende Moslemliga PML-Q konnte zwar die meisten Stimmen erringen, das Amt des Premierministers dürfte sie aber einer möglichen Koalition aus Volkspartei und Islamisten überlassen müssen. Hinter den Kulissen wird heftig gefeilscht; in Washington ist man indes froh, dass sich Musharraf durch oktroyierte Verfassungsänderungen die entscheidenden Befugnisse auch für die - gefährliche - Zukunft gesichert hat.
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Als Musharraf 1999 putschte, geschah es, weil sein Posten eines Armeechefs auf dem Spiel stand: Mit der Kargil-Aktion in Kaschmir war er dem Premier Navaz Sharif in den Rücken gefallen. Er stürzte also Sharif - unter einem Vorwurf, der in Pakistan fast immer geglaubt werden kann: Korruption. Bis zum 11. September 2001 und wohl auch darüber hinaus unterstützte er fanatische Moslems, die er für Nadelstich-Aktionen in Kaschmir brauchen konnte. Mit der Hilfe für die afghanischen Taliban war aber Schluss, als die Amerikaner kamen. Von den USA unter Druck gesetzt, versprach er demokratische Wahlen. Bis zu diesen Wahlen allerdings ließ er sich per Referendum auch noch zum Präsidenten machen und seine Amtszeit verlängern. Armee- und Regierungschef war er so und so.
Für den Urnengang am 10. Oktober stellte er sein Amt als Regierungschef wieder zur Disposition, in der Hoffnung, die ihm nahestehende Moslemliga würde siegen und eine ihm genehme Figur auf den Premierministersessel heben. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen, zumindest noch nicht. Die PML-Q, auch "Königspartei" genannt, konnte zwar 116 der 342 Sitze erringen, aber die Volkspartei PPP der exilierten früheren Premierministerin Benazir Bhutto (ebenfalls wegen Korruption angeklagt) wurde zweitstärkste Fraktion. Mit kleineren Parteien in der "Allianz für die Wiederherstellung der Demokratie" vereinigt, stellen die Bhutto-Sympathisanten 81 Mandate. Sie bestehen darauf, dass Musharraf seine Verfassungsänderungen rückgängig macht. Laut Verfassung von 1973 wird der Präsident vom Bundes- und von den Länderparlamenten gewählt. Außerdem darf er nicht gleichzeitig Armeechef sein.
Der Tanz auf dem Vulkan
Als drittstärkste Kraft ist die MMA aus den Oktoberwahlen hervorgegangen, ein Bündnis mehrerer, teils radikaler islamistischer Parteien. Nicht wenige ihrer Mitglieder sehen Musharraf als Verräter des Islam an, als Marionette der USA. Sie haben teils einen gewaltbereiten Hintergrund, viele Taliban-Sympathisanten sind darunter, und sie haben spielend 60 Mandate geholt.
Um der alten Verfassung wieder Geltung zu verschaffen, ist die PPP nicht davor zurückgeschreckt, sich mit den Islamisten einzulassen. Und sie drohte Musharraf, indem sie öffentlich erwog, dem Drittplatzierten und MMA-Führer Maulana Fazlur Rehman den Posten des Premierministers anzubieten. Das ergäbe eine "Kohabitation" der Sonderklasse: Ein Präsident eines bankrotten Landes, der den USA im Kampf gegen den Terror beistehen muss, um im Gegenzug seine Armee und seine Waffen bezahlt zu bekommen - und ein Premier, von dem viele empörte Pakistaner erwarten, dass er die Amerikaner aus dem Land jagt. Woher indes sollte dann noch Geld kommen? Es bliebe der alte Freund China, der allerdings im Moment nicht auf eine Konfrontation mit den USA aus zu sein scheint.
Benazir Bhutto betreibt unterdessen ihre Rückkehr, indem sie die USA von ihrer Loyalität zu überzeugen sucht. Ein Machtwort aus Washington müsste Musharraf eigentlich genügen, um den Prozess gegen die populäre Tochter des früheren Staatschefs Zulfikar Ali Bhutto niederzuschlagen. Den hatte das Militär 1979 hinrichten lassen, seither umgibt ihn der Nimbus des Märtyrers. Aber in einem Kabinett Bhutto würden die Islamisten eben auch mitreden wollen.
Der Clinch dauert nun schon eine Woche an, bereits am letzten Freitag hätte das Parlament zur konstituierenden Sitzung zusammentreten sollen. In Washington ist man indes froh, dass Musharraf seine Macht dermaßen zementiert hat. Aber damit könnte es jeden Tag vorbei sein: Mehreren Anschlägen ist der General nur knapp entgangen. In Karatchi wimmelt es von terrorbereiten Fanatikern, und irgendwo im Norden des Landes dürfte sich Osama bin Laden versteckt halten - wenn das Tonband denn echt ist, welches "Al Jazeera" am Dienstag ausstrahlte.