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Analyse: Gemäßigte haben durch das Vorwahlsystem kaum eine Chance.
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Washington. Die Wahlgötter müssen einen Sinn für Humor haben, denn die vielversprechenden republikanischen Kandidaten bei den anlaufenden US-Vorwahlen glänzen allesamt durch ihre unfreiwillige Unterhaltsamkeit.
Dass die amerikanische TV-Satire solchermaßen permanent mit Material versorgt wird, behagt den siegesgewohnten Republikanern gar nicht, noch dazu, wo ein Wahlsieg im nächsten November in greifbare Nähe gerückt ist. Denn der amtierende Präsident, durch Wirtschaftskrise, Kommunikationsdefizite und eine Serie politischer Niederlagen gegen die Opposition schwer angeschlagen, würde laut Umfragen jede Wahl gegen einen namenlosen republikanischen Gegner glatt verlieren. Nur wenn den Wählern einer der leibhaftigen republikanischen Kandidaten als Alternative vorgesetzt wird, darf sich der Mann im Weißen Haus freuen und hat Grund zur Hoffnung, dass es sich noch einmal ausgehen könnte.
Die scheinbare Wahlmöglichkeit zwischen Erhängen oder Erschießen, welche sich den amerikanischen Wählern auf allen Ebenen präsentiert und die den Österreichern vertraut vorkommen mag, hat in den USA mittlerweile zu einer veritablen Sinnkrise der Demokratie geführt. Die häufigste Antwort auf die politische Krise der USA ist die Suche nach Quereinsteigern und Nicht-Politikern. Mangels Erfahrung, Professionalität und entsprechenden charakterlichen Eigenschaften scheitern diese aber in der Regel spektakulär. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass erfolgreiche und fähige Persönlichkeiten kaum daran denken, sich dem Reißwolf der Wahl- und Medienmaschinerie auszusetzen. Dem Ruf nach politischen Außenseitern verdankte man etwa die Tatsache, dass sich das politische Amerika im Frühsommer des abgelaufenen Jahres halbernsthaft mit den kurzzeitigen Wahlambitionen eines Donald Trump befassen musste.
Eine weitere Strategie mit der politischen Krise umzugehen, ist die Suche nach der dogmatisch reinen Lehre und den Kandidaten, die dieses illusorische Vorhaben umzusetzen versprechen. Die Suche nach der reinen Lehre findet heute auf beiden Seiten statt: Auf der Linken wollen die einen die Wallstreet okkupieren und verdammen die gemäßigte Politik des Präsidenten als zu weit rechts, so als ob es Wahlergebnisse und politische Realitäten nicht gäbe. Dort hat man auch vergessen, dass für die Immobilienkrise nicht nur Banken und Ratingagenturen verantwortlich zeichneten, sondern auch eine von den Demokraten stark mitgetragene Politik, privaten Hausbesitz in unterprivilegierten, aber finanzschwachen Bevölkerungsschichten zu forcieren.
Ebenso wenig scheint sich die Linke in den USA zu vergegenwärtigen, dass die Hälfte der Bevölkerung überhaupt keine Einkommenssteuern zahlt und die gesamte Bevölkerung im Pensionsalter garantierte staatliche Pensions- und Krankenversicherungsleistungen in Anspruch nimmt, die vergleichsweise weit großzügiger sind als jene in Westeuropa, wenn man bedenkt, wie gering die individuellen Beiträge sind und nach welch kurzer Zeit man einen vollen Anspruch erwirbt. Bis zum Jahre 2030 werden somit dem amerikanischen Sozialstaat gesetzliche Leistungsansprüche erwachsen, die mit bis zu 80 Billiarden Dollar um ein Vielfaches über dem US-Bruttoinlandsprodukt liegen und so das Land in den sicheren Bankrott treiben.
Extremismus-Derby unter den Republikanern
Bei der republikanischen Basis wiederum würde heute selbst ein Ronald Reagan beinahe als linksaußen und unwählbar gelten. Da verwundert einen nicht, dass alle Kandidaten der Konservativen die Frage eines Reporters, ob sie bereit wären, im Gegenzug für zehn Dollar an Ausgabenkürzungen die Steuerlast für Millionäre um einen Dollar anzuheben, empört zurückweisen. Jede Form von Kompromiss gilt als verwerflich und die politischen Wahlwerber überbieten einander in verrückten, religionsfundamentalistischen und somit verfassungsfeindlichen, impraktikablen und extrem gefährlichen Ideen, nur um einander nicht zu gönnen, in den Augen der stramm rechten Parteibasis vielleicht einen Deut kompromissbereiter zu wirken als der Andere.
Der gegenwärtige Kandidatenpool weist jedoch auf ein strukturelles Grundproblem des US-Systems hin, das dem Land zunehmend zu schaffen macht. Durch die zunehmende politische Polarisierung der USA entstehen ideologisch immer dogmatischere Wahlbezirke, wobei wiederum die radikalste Untergruppe die jeweiligen Kernwähler der beiden Parteien darstellen. Es obliegt im Allgemeinen der dominanten Partei in einem Bundesstaat, die Wahlbezirksgrenzen nach eigenem Gutdünken zu ziehen. Wollen Kandidaten überhaupt eine Chance haben, sich an eine breitere Wählerschaft zu wenden, müssen sie zuerst an dieser noch extremeren Parteibasis vorbei. Damit scheiden gemäßigtere Politiker in der Regel aus, bevor sie überhaupt die Chance bekommen, von der Allgemeinheit gewählt zu werden. Auch sind heute die Mainstream-Medien nicht mehr ein so großes Korrektiv wie früher. Indem sich die Medienlandschaft ähnlich polarisiert darstellt wie die Politik, verstärken sich diese Effekte sogar noch. Da dieser Prozess außerdem bei der Rechten derzeit wesentlich ausgeprägter ist als bei der Linken, driftet das gesamte politische System sukzessive nach rechts.
Ein weiteres strukturelles Problem besteht in den zahlreichen Blockade- und Vetomöglichkeiten, politische Entscheidungen zu verhindern oder zu verzögern. Auf diese Weise nimmt die radikale Rechte, wo es nur geht, Blockadehaltungen ein und lässt sich selbst das geringste Nachgeben bei Routineangelegenheiten vom politischen Gegner mit Kompromissen abkaufen. Die ewigen Zugeständnisse von Präsident Barack Obama und den Demokraten sind teilweise darauf zurückzuführen, dass die Demokraten heute das politische Zentrum bilden und naturgemäß weniger dogmatisch und eher an der Sache selbst orientiert sind.
Andererseits weiß Obama auch, dass sowohl die komplette Paralyse des Systems als auch die Konsequenzen in Form einer prolongierten Budget- und Wirtschaftskrise vor allem auf ihn zurückfallen würden, da die Bevölkerung kaum in der Lage ist, im stark polarisierten, aber polyphonen Diskurs eindeutige Schuldzuweisungen vorzunehmen. Im Gegenteil, je mehr sich die Wähler angewidert von der Politik und dem Staat als Motor der Veränderung abwenden, desto besser für die rechtspopulistische Agenda der Republikanischen Partei, die ja in einem aktiven und regulierenden Staat die Ursache allen Übels erblickt.
Vorwahlen filtern Volksverführer heraus
Dennoch haben die Vorwahlen auch etwas Positives. Zum einen sind sie angetan, die Spreu vom politischen Weizen zu trennen und Obskuranten sowie geschmeidige Volksverführer herauszufiltern, was selbst in Zeiten zu funktionieren scheint, die für Anti-Establishment-Politik nahezu ideal scheinen. Des Weiteren beweisen sie nach dem seinerzeitigen Duell Obama-Hillary Clinton einmal mehr, dass nicht der Geldsegen die Kandidaten macht, sondern die Güte der Kandidaten erst den Geldsegen in Form von Wahlkampfspenden nach sich zieht. Schließlich dient der lange Vorvorwahlkampf und Vorwahlkampf auch dazu, die Bevölkerung sukzessive zu politisieren und bestimmte Themen der Öffentlichkeit näherzubringen.
Allem Anschein nach besitzt der ehemalige Gouverneur von Massachusetts, Mitt Romney, (zumindest formal) die besten Karten, um auch lange politische Durststrecken zu überwinden. Er hat derzeit das meiste Geld sowie die beste Organisation und scheint als Gemäßigter der Einzige zu sein, der Wählerschichten jenseits der eigenen Basis anzusprechen vermag. Man sagt, die amerikanischen Rechten benehmen sich derzeit wie "Teenager in love", die zwar ihr Herz an alle möglichen Rabauken verlieren, aber zum Heiraten letztendlich dennoch die pragmatisch erfolgversprechendere Variante vorziehen. In den nächsten Wochen werden wir sehen, ob sich der Verstand wirklich über das Herz hinwegzusetzen vermag.