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Die USA wählten Keynes

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert.

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Die bitterböse Satirezeitung "The Onion" hatte nach Barack Obamas Wahlsieg im Jahr 2008 getitelt: "Black Man Given Nation’s Worst Job." ("Ein Schwarzer bekommt Amerikas schlechtesten Job.") Die bittere Wahrheit hinter dem galligen Sarkasmus: Barack Obama hatte von seinem Vorgänger einen Trümmerhaufen übernommen. Die Wirtschaft im freien Fall, zwei sinnlose Kriege, Amerikas internationale Reputation schwer beschädigt. Obama konnte den Sturzflug der Wirtschaft bremsen, die Kriegsmaschinerie langsam herunterfahren und machte sich mit freundlichen Gesten daran, den Ruf der Nation wiederherzustellen. Das Mantra, das Bill Clintons Berater James Carville im Wahlkampf 1991 seinem Team heruntergebetet hatte - "It’s the economy, stupid" ("Es geht um die Wirtschaft, Dummchen") - besaß in der Wahlauseinandersetzung 2012 genauso Gültigkeit wie bei der Wahl Clinton-George H.W. Bush 1992.

Bei der Wahl am 6. November 2012 hatte das US-Wahlvolk das Urteil über Obamas Wirtschaftspolitik zu sprechen und darüber abzustimmen, welche Rolle der Staat im Leben der Menschen zu spielen habe. Obama war jener Präsident, der in keynesianischer Manier Schulden aufnahm, um Nachfrage zu stimulieren und staatliche Interventionsmaßnahmen in einem Umfang anordnete, wie man sie seit Franklin D. Roosevelts "New Deal"-Sozialreformen in den 1930ern nicht mehr gesehen hat. Die Bürger und vor allem die Bürgerinnen haben Barack Obama in dieser Wahl eine zweite Chance gegeben: Viele waren zwar mit seiner Perfomance unzufrieden - anders ist der knappe Abstand bei der Anzahl der für den jeweiligen Kandidaten abgegebenen Stimmen nicht zu erklären -, aber für die Wirtschaftspolitik eines vielfachen Multimillionärs und Vertreters der Plutokratie wollten die Wähler sich dann doch nicht erwärmen.

In Obamas Wiederwahl glaubt man auch einen Megatrend zu erkennen, der auch Europa zu erfassen scheint: Die Ära von Ronald Reagan und Margret Thatcher ist vorbei, das Pendel schlägt zurück. Der Glaube an die Allmacht des Marktes, die Wohltaten der Deregulierung und das Trimmen des Gemeinwesens ist erschüttert, in harten Zeiten muss die Bürgerschaft sich auf den Staat verlassen können. Man darf gespannt sein, ob Obama seine Agenda nun gegenüber einer demoralisierten republikanischen Partei mutiger und energischer durchdrückt.