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Die USA während Corona: Verwundet und verfeindet

Von Klaus Huhold

Politik

Es gab Krisenzeiten, in denen die USA eine Einheit waren. Die Corona-Krise hat die Polarisierung noch einmal verstärkt. Trump hat diese Entwicklung befeuert.


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Es gab Krisenzeiten in den USA, da stand dieses Land fest zusammen. So fest, dass man heute glauben könnte, dass das damals ein anderes Land war.

Erinnert sei hier etwa an die Zeit rund um 9/11. Feuerwehrleute und andere Lebensretter wurden als Helden gefeiert, die Einheit der Nation wurde allerorten beschworen. Und tatsächlich waren die USA wohl selten so vereint wie in den Wochen nach dem Anschlag. Es gab damals auch einen gemeinsamen Feind, gegen den sich die Nation zusammenschloss, den islamistischen Terrorismus - was in der Folge dann zu weltpoltischen Verwerfungen und Verheerungen führte.

Diesmal war der Feind, wenn man das Coronavirus überhaupt so nennen kann, unsichtbar. Und in den vergangenen Monaten hat die Bedrohung die Vereinigten Staaten nicht näher zusammenrücken lassen, sondern Corona hat die US-Bürger noch weiter auseinandergetrieben.

Symbol dafür ist die Maske. Der Streit rund um den Mund-Nasen-Schutz ist zu einer Art Kulturkampf geworden, den vor allem konservative Publizisten vorangetrieben haben.

Zugespitzt lautet dabei das Narrativ so: Masken tragen vor allem obrigkeitshörige Weichlinge, echte freiheitsliebende Amerikaner verzichten auf dieses Stück Stoff. Angefeuert wurde diese Agitation lange Zeit auch vom US-Präsidenten selbst. Bei der jüngsten TV-Debatte mit seinem Herausforderer Joe Biden echauffierte sich Trump erneut darüber, dass Biden so oft Schutzmaske trage - "die größte Maske, die ich jemals gesehen habe". Nun ist Trump selbst mit dem Coronavirus infiziert.

Bewaffneter Aufmarsch nach Trump-Aufruf

Das ist typisch für den früheren Reality-TV-Star. Kaum ein Politiker lebt derart von der Konfrontation und der Polarisierung wie Trump. Er braucht Feinde, das Establishment, die Journalisten mit ihren Fake-News, selbst die Wissenschaft, wenn sie nicht das verkündet, was er für richtig hält. Auch während der Covid-19-Krise hat der 74-Jährige seine Politik nicht geändert: Trump setzte voll auf Konfrontation.

Er griff demokratische Gouverneure, die wegen der Pandemie das öffentliche Leben einschränkten, an, als wären sie und nicht das Virus die größte Gefahr für die Vereinigten Staaten. Unvergessen sind seine Tweets: "Befreit Minnesota!", "Befreit Michigan!" "Befreit Virginia". Daraufhin drangen schwer bewaffnete Demonstranten in das Parlament von Michigan ein.

Trump hat die Spaltung der USA nicht erfunden, er hat sie aber weiter befeuert. Nun verläuft auch der Umgang mit der Corona-Pandemie nicht ausschließlich, aber doch sehr stark entlang parteipolitischer Grenzen. Umfragen zeigen, dass Anhänger der Demokraten wesentlich mehr Verständnis für Maßnahmen wie Social Distancing haben als die der Republikaner. Und selbst die Bewegungsprofile unterscheiden sich, ergab eine im Sommer durchgeführte Studie der New York University, bei der die Mobilfunkdaten von 45 Millionen Smartphones ausgewertet wurden. In republikanischen Bezirken gehen die Leute mehr aus, während die Bürger in demokratischen Bezirken vorsichtiger sind.

Auf der Ebene der nationalen Politik hat die Spaltung des Landes für viele Bürger schmerzliche Konsequenzen. Wegen des Dauerstreits zwischen Republikanern und Demokraten im US-Kongress sind Nothilfen ausgelaufen. Dabei würden viele Bürger Unterstützung brauchen: Die Arbeitslosenrate sinkt zwar und lag im September bei 7,9 Prozent, ist aber noch immer höher als vor der Krise. Viele Familien haben nun ihr - ohnehin dürftiges - Erspartes verloren, und die Essenstafeln kommen kaum mehr dem Ansturm an Bedürftigen nach.

Auch diese Gräben hat die Corona-Krise noch einmal offengelegt: Wie weit in den USA Reich und Arm auseinanderliegen und wie sehr auch so eine Pandemie entlang ethnischer Linien verläuft. So sind Latinos und Afroamerikaner wesentlich gefährdeter, an Corona zu erkranken, als Weiße. Und während der Milliardär Trump, wie schon sein ganzes Leben lang, die bestmögliche Gesundheitsversorgung erhalten wird, steigt die Zahl der Nichtversicherten, weil der Versicherungsschutz oft an den Job gebunden ist. Laut jüngsten Erhebungen sind derzeit rund 29 Millionen Bürger im erwerbsfähigen Alter ohne Versicherungsschutz.

An den Corona-Zahlen sind die anderen schuld

Corona hat noch einmal die Schwächen der US-Gesundheitsversorgung aufgezeigt: Mit mehr als 207.000 Toten sind die USA traurige Nummer eins. Doch daran sind laut Trump vornehmlich andere schuld, allen voran China, wo Corona seinen Ausgang nahm.

Auch in anderen Ländern trifft Corona mehr die Armen als die Reichen, auch anderswo ist umstritten, inwieweit Einschränkungen des öffentlichen Lebens gerechtfertigt sind. Doch in kaum einem anderen Staat zeigen sich die Verwerfungen so stark wie in den USA. Die Pandemie hat noch einmal offen gelegt, wie gespalten, verwundet und verfeindet diese Nation ist.