Die Chancen für ein irisches Ja zum Lissabon-Vertrag stehen am heutigen Freitag ungleich besser als 2008. Die Variablen im Abstimmungspoker haben sich inzwischen klar geändert. | Bereits bei der Abstimmung 2008 befand sich Irland wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast. Noch vor dem damaligen Votum wurden Rekordarbeitslosenzahlen veröffentlicht. Auch wenn den meisten klar war, dass die Situation Irlands vor dem EU-Beitritt weitaus schlimmer war, so glaubten doch viele Iren der Negativ-Propaganda, die einer schlechten Entwicklung der EU die Schuld am Erlahmen des keltischen Tigers gab. Heute zieht dieses Argument nicht mehr.
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Die Wirtschaftskrise und das schlechte Abschneiden Islands haben den Iren vor Augen geführt, wie sie ohne EU dastehen würden. Damit hat das Lager der Befürworter erstmals das handfeste Argument erhalten, das ihm 2008 gefehlt hat. Damals musste es noch umständlich Ausführungen über die künftig gesteigerte Effektivität und Effizienz der EU machen, während das Nein-Lager mit einprägsamer Rhetorik auffahren konnte ("Wir verlieren unseren Kommissar", "Brüssel wird uns Abtreibungsfristen vorschreiben"). Doch nun können die Vertragsbefürworter sagen: "Ohne EU wäret ihr in der Krise am Sand."
Der Hauptgegner des Lissabon-Vertrags, Declan "Mr. No" Ganley, ist diesmal erst verspätet in den Wahlkampf eingestiegen, nachdem er ursprünglich überhaupt nicht mitmischen wollte. Ihm war das Nein der Iren von 2008 zuzuschreiben. Er hatte eine perfekte Strategie gegen Lissabon entwickelt und vor allem schier unerschöpfliche Mittel. Einige seiner Horrorvisionen - wie Eingriffe in Neutralität oder Abtreibungsfristen - sind mittlerweile entkräftet. Denn die EU versicherte den Iren durch ein vertragliches Beiwerk zum Lissabon-Vertrag, dass es nicht dazu kommen werde.
Die europäische Politik (inklusive der irischen) hat ihr Auftreten gegenüber der irischen Bevölkerung geändert und die Drohungsrhetorik diesmal weitgehend ausgeklammert. Sollten die Iren den EU-Vertrag ablehnen, dann könnten sie sich anschnallen, hieß es 2008 sinngemäß aus mehreren Ländern. Damit lösten sie eine normale (und eigentlich damals schon absehbare) Trotzreaktion aus. Die Politiker haben daraus gelernt: Ein irisches Nein wäre schlecht für Europa, heißt es nun vordergründig, womit den Iren Verantwortung für das Ja der anderen übertragen wird.
Umgekehrt hat das Umdenken durch die Krise dazu geführt, dass das gesamteuropäische Nein-Lager in Irland diesmal weniger aktiv ist. Das Argument "Ihr seid die Einzigen, die gefragt werden, und somit unsere einzige Chance auf ein Nein", hört man nun nicht mehr so laut.
Was man dafür heute noch zu hören bekommt, ist aus Brüssel, dass es keinen Plan B gibt. Dennoch gab es 2008 mehr oder weniger deutlich Spekulationen über mögliche Konsequenzen. Jene Länder, die den Vertrag von Lissabon unterzeichnet haben, könnten eine Art Kerneuropa bilden, vernahm man stellenweise. Derartige Konsequenzen werden heute nicht einmal angedacht, sollte Irland als einziges EU-Land den Lissabon-Vertrag ablehnen.
Auch Irlands Politiker haben den Ernst der Lage erkannt und nutzen das Referendum nicht mehr vor allem zur eigenen Profilierung. Glaubt man an historische Trends, so müsste beim Lissabon-Referendum heute ein Ja herausschauen. Denn schon den Vertrag von Nizza haben die Iren im ersten Durchgang abgelehnt und dann nach Zugeständnissen im zweiten Anlauf befürwortet