Ein Kommandeur der grausamen Rebellentruppe Lord’s Resistance Army steht in Den Haag vor Gericht. Viele Bürger Ugandas sind aber der Meinung, dass lokale Verfahren mehr zur Heilung und Vergebung beitragen würden.
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Gulu/Kampala. Gulu, die Kleinstadt im Norden Ugandas, sieht schon lange nicht mehr aus wie ein Kriegsgebiet. Überall wird gebaut, Straßen werden geteert, Banken und Geschäfte eröffnet. Nach mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg hat Norduganda in den vergangenen zehn Jahren, seitdem die LRA-Miliz sich in die Nachbarländer zurückzog, Frieden erlebt. Die Menschen sind damit beschäftigt, sich wieder ein normales Leben aufzubauen. Doch jetzt lässt der Prozess vor dem 6000 Kilometer entfernten Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die alten Wunden wieder aufbrechen.
Der Ugander Dominic Ongwen ist vor dem Weltgericht der schlimmsten Verbrechen angeklagt: darunter Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Versklavung von Minderjährigen. Die nordugandische LRA (Widerstandsarmee des Herrn) unter ihrem Anführer Joseph Kony gilt als eine der brutalsten Milizen des Kontinents. Gegen fünf ihrer Kommandeure hat der Strafgerichtshof Haftbefehle erlassen. Ugandas Armee und US-Spezialkommandos suchen nach den Rebellenführern überall in der Region. Ongwen hatte sich Ende 2014 ergeben, nachdem er sich mit LRA-Chef Kony überworfen hatte. Uganda lieferte ihn nach Den Haag aus.
Im Dezember wurde gegen Ongwen der Prozess eröffnet, gestern, Montag, ging der Prozess in die nächste Runde, 70 Anklagepunkte wurden verlesen. Der 40-Jährige sieht sich hingegen selbst als Opfer. Er sei als 14-Jähriger von der LRA entführt worden: "Ich zähle auch zu denjenigen, gegen die die LRA Verbrechen beging", hat er erklärt. Die Richter des Weltgerichts stehen vor einer großen Herausforderung.
In Uganda sehen Opfer und Mittäter den Prozess in der niederländischen Den Haag mit Skepsis. In Gulu und an fünf weiteren Tatorten, darunter auch in Ongwens Heimatdorf, hat der Internationale Strafgerichtshof Leinwände und Fernseher in öffentlichen Gebäuden eingerichtet, damit die Bewohner die Verhandlung verfolgen können. Auch in der Sekundarschule von Gulu.
Die Täter waren oft vorher selbst zunächst Opfer
Alexander Ochen sitzt mit seinen Schülern auf einer Bank vor dem Klassenzimmer. Man könnte meinen, er sei ein ganz normaler Lehrer. Doch der heute 47-Jährige war einst Kommandeur bei der LRA, befehligte selbst eine Einheit Kindersoldaten. Wie der in Den Haag angeklagte Ongwen, so wurde auch Alexander Ochen als Jugendlicher von der LRA entführt - und stieg dann innerhalb der Miliz zum Kommandeur auf. Er kennt den Angeklagten gut: "Einige von uns wurden gezwungen zu tun, was wir taten." Wenn der Kommandeur einen Befehl gab, Kinder zu entführen, und man weigerte sich, dann drohten schlimme Konsequenzen, so Ochen: "Ich habe das selbst erlebt. Viele, die entführt wurden, wurden ermordet."
Deswegen ist Ochen gegen den Prozess, sagt er: "Ich weiß, dass es Gerechtigkeit geben muss." Doch das Verfahren sende eine falsche Botschaft in den Busch an diejenigen Rebellen, die immer noch gefangen sind und sich ergeben wollen, sagt Ochen. "Ich habe insgeheim gebetet, dass er Amnestie erhält und es ein System der Gemeinde-Gerichte geben wird, in welchen sich Opfer und Täter gegenüberstehen. Das würde den Heilungsprozess voranbringen."
Lehrer Ochen hat von Ugandas Regierung Amnestie gewährt bekommen, wie tausende weitere LRA-Kämpfer und Kommandeure. Wie Ochen sind sie in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt, in welchen sie grausame Verbrechen begangen haben. Sie alle mussten einen Weg finden, um Vergebung zu bitten. Ochen erzählt, wie er auch eine Familie wiedertraf, deren Verwandte umgebracht wurden, von Kindersoldaten, die unter seinem Kommando ein Dorf überfallen und Häuser niedergebrannt hatten. Der Bursche hatte Ochen als Anführer wiedererkannt. Sie waren sich auf dem Markt begegnet, erinnert sich der Lehrer: "Das war schrecklich, ich flehte auf Knien um Vergebung, die Mutter weinte. Sie vergab mir und wir wurden Freunde. Sie schenkte mir sogar zwei Hühner."
Bis zur Entschädigung ist es noch ein langer Weg
Viele Menschen in Norduganda sind der Meinung, dass lokale Gerichtsverfahren mehr zur Heilung und Vergebung beitragen würden als hochkarätige Strafprozesse vor dem Weltgericht. So auch Margaret Aciro, Mutter von drei Kindern und einst Opfer der skrupellosen LRA.
Bis heute lebt sie mit ihrer Familie in einem Vertriebenenlager nahe Gulu. Die LRA hatte während des Krieges ihr Haus zerstört, sie entführt und als Sexsklavin gehalten. Bis heute ist sie schwer gezeichnet und wagt sich nur selten aus der kleinen Lehmhütte hervor. Wer einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen kann, der versteht warum. Die Rebellen haben ihr Lippen und Nase abgeschnitten.
Sie interessiere sich nicht für den Prozess, erklärt sie. "Es mag vielleicht gut sein, aber ich habe das Gefühl, ich kann erst Gerechtigkeit erfahren, wenn ich auf irgendeine Art Entschädigung erhalte, um wieder normal leben zu können." In Den Haag werden die Opfer von Anwälten vertreten. Sollte Ongwen verurteilt werden, haben Opfer wie Aciro Anspruch auf Entschädigung. Doch bis dahin ist es noch ein langer Prozess.