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Die Verehrten

Von Klaus Huhold

Politik

Oppositionsikone Aung San Suu Kyi und ihre Partei NLD symbolisieren in Myanmar die Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft. Deshalb gelten sie als Favoriten für die Wahl am Sonntag.


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Rangun/Wien. Wo sie auftaucht, ist das Land in Rot getaucht. Wenn Myanmars (Burmas) Oppositionsikone Aung San Suu Kyi Wahlkampfveranstaltungen abhält, dann marschieren ihre Anhänger los, werden die Wangen von Kinder geschminkt, Autos, Balkone, ganze Straßenzüge geschmückt mit der knallroten Flagge der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), auf der auch noch ein Stern und ein Pfau in herausfordernder Angriffsstellung abgebildet sind.

Myanmar wählt am Sonntag ein neues Parlament. Es gibt keinerlei Umfragen, was den Ausgang schwer vorhersagbar macht. Doch bei keiner Partei sind die Wahlveranstaltungen so gut besucht, herrscht eine derart euphorische Stimmung wie bei der NLD. Deshalb rechnen Beobachter damit, dass die NLD siegen und die Union für Solidarität und Entwicklung (USDP), die aus dem Militär hervorgegangen ist, als stärkste Partei ablösen wird.

Für Ideale gelitten

Die NLD repräsentiert im bitterarmen Myanmar, das jahrzehntelang von einer Militärdiktatur beherrscht wurde, die Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft. Und keine Familie symbolisiert das Streben nach Freiheit so sehr wie die von NLD-Anführerin Aung San Suu Kyi. Bis heute wird ihr Vater Aung San, ein mit 32 Jahren ermordeter Held des Unabhängigkeitskampfes, hoch verehrt. Und auch seine Tochter gab sich unbeugsam: Insgesamt 15 Jahre hielt sie das Militär unter Hausarrest, doch Suu Kyi hielt fest an ihrem Ideal einer freien, demokratischen Gesellschaft. Einen ganz hohen Preis zahlten auch viele andere NLD-Politiker. Sie verbrachten während der Militärdiktatur viele Jahre in den berüchtigten Haftanstalten des Landes.

Die NLD und andere Dissidenten machten von innen Druck auf die Militärjunta, die jahrzehntelang herrschte. Von außen kam der Druck durch Sanktionen des Westens, durch Isolation, die Myanmar immer mehr in die Abhängigkeit von China trieb, was für viel Unbehagen sorgte. Schließlich leitete das Militär Reformen ein: Politische Gefangene wurden freigelassen, mittlerweile gibt es Pressefreiheit - und nun die ersten freien Wahlen, bei denen die NLD gleichberechtigt gegen die USDP, in der nun viele ehemalige Generäle im zivilen Gewand sitzen, antritt. Das sind die zwei Großparteien, daneben kandidieren viele kleinere Parteien, vor allem von ethnischen Minderheiten.

"Leute, die behaupten, es gab schon genug Veränderung und wir brauchen keine mehr, sagen das nur, weil sie keinen wirklichen Wandel wollen", rief Suu Kyi bei einer Wahlveranstaltung in der größten Stadt Rangun zehntausenden Anhängern zu.

"Suu Kyi gilt als die Vertretrein eines idealistischen Demokratiekonzeptes", sagt Wolfram Schaffar vom Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien, der seit Jahren zur südostasiatischen Politik forscht. "Sie ist für eine grundlegende Reform des Systems. Wobei aber vielen nicht klar ist, wohin diese Reform gehen soll."

Gleichzeitig hat sie sich aber auch oft sehr pragmatisch verhalten, was ihr im Ausland übelgenommen wurde. Etwa im Konflikt um die Rohingya. Die moslemische Minderheit wird in Myanmar massiv diskriminiert, ihre Angehörigen leben teilweise rechtlos zusammengepfercht in Lagern. Die Stimmung bei der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung ist gegen die Rohingya gerichtet. Suu Kyi hat sich in dieser Frage nie klar positioniert und die Rohingya auch nicht verteidigt. Offenbar wollte sie nicht die Chancen der NLD bei der Wahl vermindern, sagt Schaffar.

Bei einem Wahlsieg der NLD wird jedenfalls die entscheidende Frage sein, ob sie genug Stimmen hat, um alleine den nächsten Präsidenten zu bestimmen oder ob sie mit anderen Parteien koalieren muss. Denn nach dem Votum bestimmen Unter- und Oberhaus das nächste Staatsoberhaupt, das die künftige Regierung ernennt. Suu Kyi ist das Präsidentenamt verwehrt, da niemand Staatsoberhaupt werden darf, dessen Kinder Ausländer sind. Suu Kyis Kinder sind britische Staatsbürger. Die 70-Jährige hat aber schon verlauten lassen, dass sie die nächste Regierung anführen will. Wenn die NLD gewinnt, "dann stehe ich über dem Präsidenten", verkündete sie.

Aber wird das Militär es zulassen, dass die frühere Erzfeindin das Land anführt? Die Armee hat zumindest schon einmal vorgesorgt, dass sie nicht zu viel Macht verliert. Ein Viertel der Sitze im Parlament sind für Militärs reserviert, die somit jede Verfassungsänderung verhindern können. Und auch Schlüsselministerien wie das für Inneres werden von der Armee besetzt.

Enorme Erwartungen

Auf der anderen Seite hat auch die NLD nicht die Konfrontation mit dem Militär gesucht. Ihre Mitglieder haben bisher darauf verzichtet, die Verbrechen des Militärs zu thematisieren, auch wenn sie persönlich darunter gelitten haben und etwa misshandelt wurden. Der Reformprozess sollte nicht gefährdet werden.

So ist die NLD hin- und hergerissen zwischen Idealismus und Pragmatismus. Sie besitzt aufgrund ihrer Geschichte hohes Ansehen und eine Anführerin, die fast schon messianisch verehrt wird. Doch hier verbirgt sich laut Schaffar auch das größte Problem der Partei: Dass sie diesem symbolischen Kapital gar nicht gerecht werden, die Erwartungen nicht erfüllen kann. Viele der politisch erfahrensten Köpfe haben die NLD verlassen - sie wollten im Gegensatz zu Suu Kyi nicht die Wahl 2010 boykottieren. Generell gibt es "die Sorge, dass die NLD nicht genügend qualifizierte Leute besitzt", meint auch die burmesische Politologin Chaw Chaw Sein zur "Wiener Zeitung".

Anders sieht das Pensionist Han Thein. "Ich spüre es in meinem Herzen", sagt der 64-jährige während einer Wahlveranstaltung von Suu Kyi der Nachrichtenagentur dpa. "Sie ist die Einzige, die uns führen kann."