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In den Nachwehen des zerstörerischsten Krieges in der Geschichte der Menschheit traf vor 60 Jahren eine Gruppe führender Politiker aus aller Welt in San Francisco zusammen. Sie unterzeichneten ein Dokument, von dem sie hofften, dass es die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts im Vergleich zur ersten grundlegend anders gestalten würde. Dieses Dokument war die Charta der Vereinten Nationen.
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Die Geburt der UNO am 26. Juni 1945 in San Francisco kam zustande, weil Politikern bewusst wurde, dass die Welt nicht länger so weitermachen konnte, wie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Einer Zeit, die zwei Weltkriege, unzählige Bürgerkriege, Völkermord, Massenvölkervertreibungen und die Schrecken von Holocaust und Hiroshima gesehen hat.
Heute sind wir alle besser dran als 1945. Nichts desto weniger ist die Kritik an der UNO weit verbreitet. Die Spaltung des Sicherheitsrates über den Irak 2003 war ein Wendepunkt für die Stellung der Vereinten Nationen in der Welt. Eine Umfrage in 20 Ländern Mitte dieses Jahres zeigte, dass die Organisation sehr großen Schaden durch die Irak-Frage genommen hat. Die Glaubwürdigkeit der UNO in den Vereinigten Staaten war auf einem Tiefstand, da sie nicht die Kriegsverwaltung unterstützte. Andere Ländern warfen der UNO vor, dass sie diesen Krieg nicht verhindern hatte können. Seit damals stehen Angriffe auf die Vereinten Nationen an der Tagesordnung. Sei es nun wegen der Handhabung des Programms "Öl-für-Lebensmittel", Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe durch Friedenstruppen oder Attacken seitens des US-Kongresses einschließlich Drohungen, Zahlungen auszusetzen.
Mut zu neuen Pfaden
Generalsekretär Kofi Annan hat erklärt, dass wir an einer Weggabelung angekommen sind. Ein Weg - weitermachen wie bisher - führt zu möglichen Katastrophen für die Menschheit. Die andere Option wäre, die gesamte Struktur der internationalen Organisation zu überprüfen und sie zu erneuern. Auf diese Weise könnte ein effektives Instrument zur Steuerung der Welt für das 21. Jahrhundert geschaffen werden. Die Zwistigkeiten über den Irak haben viele grundlegende Fragen aufgeworfen, die unsere moderne Welt seit dem Kalten Krieg geplagt haben: Fragen über die Prävention von Kriegen, über die Plage des Terrorismus und über Massenvernichtungswaffen. Fragen darüber, ob eingegriffen werden soll, wenn Staaten Ungerechtigkeit ihren eigenen Bürgern gegenüber begehen
Am 21. März dieses Jahres veröffentlichte UNO-Generalsekretär Annan einen Bericht mit dem Titel "In Larger Freedom" (In größerer Freiheit) mit Vorschlägen, wie man die UNO verändern könnte, um den neuen Herausforderungen zu begegnen. Der Titel kommt aus der Präambel der Charta der Vereinten Nationen zu den Bemühungen für "sozialen Fortschritt und bessere Lebensstandards in größerer Freiheit". Mit diesem Satz zeigten die Gründer der UNO, dass sie verstanden, dass Entwicklung nur unter der Bedingung von Freiheit möglich ist und dass Menschen nur dann von politischer Freiheit profitieren, wenn sie zumindest eine faire Chance auf einen bescheidenen Lebensstandard haben.
Die Vorschläge des Generalsekretärs erfassen alle wichtigen Herausforderungen: Schuldenerlass und faire Handelsmöglichkeiten für arme Länder, das Prinzips der Verantwortung, die Schwachen zu schützen, wenn ihre eigenen Staaten dazu nicht fähig sind; die Notwendigkeit eines Übereinkommens für ein umfassendes Rechtsabkommen zum Terrorismus u.v.m.
Beim Weltgipfel 2005, der im September in New York stattfinden wird, werden sich die Führenden der Welt treffen, um sich mit den Vorschlägen des Generalsekretärs zu beschäftigen. Dabei werden sie Gelegenheit haben, nochmals Geschichte zu schreiben. Bleibt zu hoffen, dass sie genug Voraussicht, Weisheit und Mut besitzen, um zu bekräftigen, was ihre Vorgänger vor 60 Jahren in San Francisco erreicht hatten.
Shashi Tharoor ist UNO-Untergeneralsekretär für Kommunikation, Presse und Information