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Haben wir keine anderen Probleme als die Frauenquote? "Doch", sagt Politologin Melanie Sully, "die Frage ist dennoch wichtig."
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Wien. Jean-Claude Juncker hat damit genau so zu kämpfen wie Werner Faymann, Reinhold Mitterlehner nunmehr detto und Matthias Strolz droht, neue Rekorde nach unten zu brechen. Die Rede ist vom Frauenmangel in politischen Gremien, sei es der EU-Kommission, den Parlamentsreihen oder eben der Bundesregierung. Dass anstelle der verstorbenen Barbara Prammer nun der Gewerkschafter Walter Schopf in den Nationalrat einzieht, hat über Tage hinweg in der Kanzlerpartei zu einer hitzigen Debatte geführt. Immerhin verstieß die SPÖ damit gegen ihr eigenes Parteistatut, welches eine Frauenquote von 40 Prozent vorsieht. Die Parteijugend will deswegen jetzt sogar das Parteischiedsgericht anrufen. Derzeit beträgt der Frauenanteil im SPÖ-Parlamentsklub knapp 33 Prozent, die ÖVP kommt auf 28 Prozent, Schlusslicht sind die Neos, die bei 11 Prozent liegen. Den Spitzenwert erzielen die Grünen mit 54 Prozent gefolgt vom Team Stronach mit 45 Prozent.
Mit der britischen Politikwissenschafterin Melanie Sully, die seit Jahrzehnten in Österreich lehrt und forscht, sprach die "Wiener Zeitung" über Sinn und Unsinn einer Frauenquote.
"Wiener Zeitung":Ist eine verpflichtende Frauenquote in einem Parteistatut nicht ein Widerspruch zum allgemeinen und freien Wahlrecht?Melanie Sully: Nein, Gesetze legen Mindeststandstandards fest, natürlich können sich Parteien darüber hinaus gewisse Regeln verordnen, an die sie sich halten können. Hier sehe ich keinen Widerspruch, zumal es solche Quoten auch in anderen Organisationen gibt; die UNO etwa hat eine Quote von 30 Prozent festgelegt, allerdings nicht speziell für Frauen, sondern für dasjenige Geschlecht, das unterrepräsentiert ist - davon könnten theoretisch also auch die Männer profitieren. Der Europarat empfiehlt sogar eine Quote von 40 Prozent.
Diese Regelungen fokussieren auf die herkömmliche Unterscheidung von Männern und Frauen. Mittlerweile ist die Gleichstellungsdebatte aber schon darüber hinaus fortgeschritten, fordern Transgender-Personen und solche ohne eindeutiges Geschlecht Akzeptanz und Berücksichtigung. Führt sich da das Quotendenken nicht ad absurdum?
Nein, die Idee dahinter ist, so viele Menschen wie möglich in die demokratischen Prozesse miteinzubeziehen. Die Logik ist simpel: Je mehr mitwirken, desto geringer die Politikverdrossenheit. Die Idee der 30-Prozent-Quote stammt aus der Nuklearphysik: Diese Marke gilt als kritische Masse, ab der Kettenreaktionen in Gang gesetzt werden, die eine nachhaltige Entwicklung erst ermöglichen. Es geht also um eine Etappe hin zum Ziel von Good Governance, also hin zu verantwortungsbewusster Regierungsarbeit. In manchen Staaten vor allem in Ost- und Mitteleuropa ist die Idee einer Quote negativ besetz, weil es zu kommunistischen Zeiten schon einmal so etwas gegeben hat. Grundsätzlich ist eine angemessene Repräsentation aber etwas Positives, in Österreich wird sie sogar auch in den Parteien penibel beachtet, etwa beim Länder- und Interessenproporz.
Also auch eine Quote für Transgender und Personen ohne eindeutiges Geschlecht?
Nicht unbedingt, aber wichtig ist, dass wir darüber nachdenken, wie auch diesen Menschen der Zugang zu Politik verschafft werden kann. Es geht um die Einbindung möglichst aller. Wenn man das Gefühl hat, dass man ausgeklammert ist, dass man nichts bewegen kann, obwohl man ja eigentlich will, steigt eben die Frustration.
Mit Verblaub: Mit diesem Anspruch wird die Politik, werden die politischen Parteien doch völlig überfordert. Die scheitert derzeit oft schon an den großen Herausforderungen im Wirtschafts-, Steuer- oder Bildungsbereich.
Das mag sein, es liegt an den Parteien, ihre Prioritäten festzulegen. Aber bei dieser Debatte um Quoten geht es zuallererst um die Frage einer politischen Kultur der Repräsentation. Natürlich können auch Männer für die Interessen von Frauen eintreten und Alte für jene der Jungen, das ist selbstverständlich. Mir fehlen Vorgaben, was wir etwa von einem Abgeordneten im Parlament erwarten. Der soll einerseits seine konkreten Wähler vertreten, also etwa Gewerkschaftsmitglieder, Bauern oder Beamte, gleichzeitig aber auch im Namen des gesamten Staatsvolks Gesetze beschließen. Hier brauchen wir mehr Transparenz. Und das gilt auch, jedenfalls solange wir ein Listenwahlrecht haben, für die Frage, was eine Partei von ihren Kandidaten erwartet. Für die Bürger ist völlig unklar, warum der eine Kandidat einem anderen vorgereiht wird. In Großbritannien stellt etwa die Labour-Party ihre Entscheidungskriterien ins Internet. Das wäre auch in Österreich problemlos möglich, es geschieht nur nicht.
Glauben Sie, dass die Mehrheit der Bürger der Debatte um Quoten die gleiche Bedeutung zumisst wie Parteien und Medien?
Es ist grundsätzlich ein wichtiges Thema; aber selbst wenn nicht, muss die Politik sich um Fragen kümmern können, auch wenn diese nicht das Bauchgefühl einer Mehrheit betreffen. Hier geht es um Bewusstseinsbildung, durchaus auch in den Parteien selbst. Frauen sind zwar heute längst ein Thema, weil sie über Lobbyingkraft verfügen. Aber am Ende behalten oft andere politische Fragen noch die Oberhand. Zum Frauentag etwa gibt es immer noch keine gemeinsame Aktion aller Frauen aller Parlamentsparteien.
Zur Person
Melanie Sully
Geboren in Großbritannien lehrt und forscht Sully in Österreich, unter anderem als Professorin für Politikwissenschaft an den Universitäten Innsbruck und Wien und der Diplomatischen Akademie. Sie leitet "Go-Governance", ein Institut, das sich in Kooperation mit dem Kanzleramt und dem Außenministerium der Verbreitung von Good Governance widmet.