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Die Vergangenheit holt Chile ein

Von Antje Krüger

Politik

Das Tauziehen bei der Auseinandersetzung mit der Diktatur in Chile (1973-1990) nimmt und nimmt kein Ende. Die Verfahren gegen die Menschenrechtsverbrechen offenbaren dabei immer neue Widersprüche im Umgang mit der Vergangenheit.


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Während gegen Ex-Diktator Augusto Pinochet Anfang der Woche erneut vier Strafanträge wegen Ermordung politischer Oppositioneller gestellt wurden und die Regierung weitere 1.201 Folteropfer der Diktatur anerkannte, hob gestern das Berufungsgericht Santiago für die gesamte Führung des Geheimdienstes DINA die 15 bzw. 10-jährigen Haftstrafen wegen des Verschwindens der Journalistikstudentin Diana Aron 1978 auf. Begründung: Das Verbrechen der Entführung fällt unter die Selbstamnestie der Militärs aus Diktaturzeiten, die noch heute gilt.

Dabei hatten gerade erst zwei Fälle die zage Hoffnung geweckt, die Straflosigkeit in Chile könnte dauerhafte Risse bekommen haben: Der Fall Colonia Dignidad des Deutschen Paul Schäfer sowie die Strafverfolgung von Pinochet selbst.

Paul Schäfer hatte 1961 südlich von Santiago de Chile die Colonia Dignidad, die Kolonie Würde, gegründet. Das sektenartige Reich mit knapp 300 Einwohnern funktionierte wie ein Staat im Staate. Die Gerüchte um die enge Zusammenarbeit mit der chilenischen Militärdiktatur machten das sogenannte bayrische Dorf berühmt-berüchtigt.

Richter Jorge Zepeda geht ungeahnt vehement im Fall des 83-Jährigen Schäfer, der neun Jahre lang die Justiz floh, vor. Neben Schäfer sitzen mittlerweile drei seiner Mitarbeiter in Haft. Hartmut Kopp, der zweite Mann der Kolonie, sowie Karl van Den Berg und Gerhard Mücke sind wegen Verschleierung der Verbrechen gegen Oppositionelle während der Diktatur angeklagt.

Die Verbindungen zwischen Pinochets Militär und den deutschen Siedlern wurden nun amtlich. Gemeinsam mit Schäfer prozessiert Richter Zepeda auch gegen fünf Agenten des Geheimdienstes DINA, unter ihnen ihr Ex-Chef, Manuel Contreras. Selbst die ursprüngliche Anklage gegen Schäfer wurde geändert. Er muss sich nicht mehr als Komplize sondern als Autor im Entführungsfall von drei Mitgliedern der oppositionellen Bewegung MAPU (Movimiento de Acción Popular Unitario) verantworten.

Diese wurden im Mai 1976 ins Folterzentrum Villa Grimaldi verschleppt, wo sie verschwanden. Ihre Autos jedoch tauchten in der Colonia Dignidad auf. Paul Schäfer wurde zu Zeiten der Diktatur häufig mit den Fahrzeugen festgenommener Chilenen gesehen. Richter Zepeda fand nun zwei vergrabene Motoren sowie verschiedene Autoteile - Spuren, die offensichtlich beerdigt werden sollten. Ebenso wie die Waffenlager. Maschinengewehre und Handgranaten sollen von den Siedlern produziert worden sein und sich noch immer auf dem Territorium befinden.

Auch die Verfahren gegen den Ex-Diktator selbst werden immer komplexer. Fast 300 Klagen liegen gegen den 89-Jährigen vor. In den kommenden Tagen wird eine Entscheidung über die Aufhebung der Immunität, welche Pinochet als Ex-Staatschef noch immer genießt, im Riggs-Bank-Fall erwartet. Dabei geht es um schätzungsweise 17 Mio. US-Dollar auf 128 illegalen Auslandskonten, Diebstahl, Passfälschung und Steuerhinterziehung von mehr als 9 Mio. Dollar. Trotz Immunität musst der einst stärkste Mann in Chile schon im April 1.500 Mio. Pesos (2 Mio. Euro) hinterzogener Steuergelder zurückzahlen.

Nun bleibt abzuwarten, wie das Berufungsgericht Santiago in seinen weiteren Entscheidungen stimmen wird. Von dieser Distanz hängt jetzt ab, ob und wie gegen Chiles Menschenrechtsverbrecher weiter vorgegangen werden kann.