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Eine wissenschaftliche Studie hat nun enthüllt, dass im Konzentrationslager Mauthausen auch afrikanische Häftlinge interniert waren.
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Kaum etwas erinnert in der öffentlichen Gedenkkultur Österreichs an die mehreren hundert Männer (und einige Frauen) afrikanischer Herkunft, die im seinerzeitigen NS-Konzentrationslager Mauthausen und seinen Außenstellen inhaftiert waren. Die meisten kamen aus Nordafrika, einzelne aber auch aus anderen Regionen des Kontinents; selbst ein Südafrikaner befand sich unter ihnen. Ein vor kurzem vorgestellter neuer Forschungsbericht, betreut von dem aus Kamerun stammenden Journalisten Simon Inou und dem Verfasser dieses Artikels, ging den Spuren dieser Menschen nach.
Die in Zusammenarbeit mit dem Lehrgang "Library and Information Studies" der Universität Wien erstellte (Teil-)Studie von Barbara Fuchslehner und Karin Röhrling ist nicht die erste, aber die bis jetzt umfassendste Forschungsarbeit über die weithin vergessenen Gefangenen afrikanischer Herkunft im KZ Mauthausen.
Weniger wichtig?
Dass deren Existenz in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist, hat mehrere Gründe. Erstens stehen in Forschung und Gedenkkultur die großen nationalen Häftlingsgruppen Mauthausens im Vordergrund: etwa 90.000 Polen, rund 37.000 Häftlinge aus der damaligen Sowjetunion. Zweitens konzentrierte man sich vor allem in den ersten Nachkriegsjahrzehnten auf die politische Wichtigkeit: wieviele Kommunisten und Sozialisten, wieviele Legitimisten, wieviele Religiöse? Ab den beginnenden 1990er Jahren rückten drittens im Zuge der US-amerikanisch-israelischen "Holocaustindustrie" (Norman G. Finkelstein) alle nicht-jüdischen Gefangenengruppen ohnehin ins Abseits.
Dass aus diesen verschiedenen Gründen kleinere oder politisch angeblich weniger wichtige Kategorien von Häftlingen unberücksichtigt blieben, ist bekannt - auch die Homosexuellen mussten jahrzehntelang um Anerkennung für die Opfer aus ihren Reihen kämpfen.
Ähnlich steht es um die Gefangenen afrikanischer Herkunft, die, wenn nicht gänzlich vergessen, so doch stark vernachlässigt wurden. Nach wie vor wird in der Mauthausen-Literatur zum Beispiel die Angabe "13 Araber" (aus Nordafrika und dem Nahen Osten) überliefert, während Gerhard Höpp schon 2002 in einem Aufsatz 62 identifizierte. Seine Forschungsergebnisse - die durch die jetzt vorliegende Studie wiederum überholt sind - wurden nicht zur Kenntnis genommen. Dies mag auf wissenschaftsinterne Ursachen zurückzuführen sein und/oder auf mangelnde Sensibilität für die außereuropäischen Opfer der Nazi-Terrors. Es ist damit aber auch ein verkürztes Verständnis des Nationalsozialismus verbunden.
Dem NS-Regime ging es ja nicht "nur" um die politische Neuordnung Deutschlands und Österreichs bzw. Europas, sondern auch um eine globale Dimension: Die vom Sieger (also von Deutschland) zu gestaltende Nachkriegsordnung sollte von den sogenannten arischen bzw. weißen Völkern dominiert werden. Während Hitler in "Mein Kampf" Frankreich unterstellte, durch seine gesellschaftliche Multikulturalität "der weißen Rasse . . . die Grundlagen zu einer selbstherrlichen Existenz zu entziehen", plädierte er für ein Bündnis des nationalsozialistischen Deutschlands mit Japan, Italien und England (!), "mit denen uns . . . gemeinsames Blut oder die große Linie einer zusammengehörigen Kultur verbindet".
Dass der Nationalsozialismus solcherart auch als ein globales Projekt gegen Multikulturalität angelegt war - daran erinnern uns die vielfältigen Traditionen des antifaschistischen Widerstands ebenso wie die Diversität der KZ-Häftlinge.
Biographische Spuren
Zu Beginn unserer Forschung war also (nach Höpp) von mehr als sechzig nordafrikanischen (arabischen) Gefangenen im KZ Mauthausen auszugehen, und aus anderen Quellen war die Existenz von fünf weiteren aus Subsahara-Afrika bzw. der Karibik bekannt. Zu letzteren zählten der aus Äquatorial-Guinea stammende José Carlos Grey Key aus Barcelona, ein republikanischer Aktivist im Spanischen Bürgerkrieg und danach der französischen Résistance, der 1942 ins KZ Mauthausen kam und überlebte; weiters Lionel Romney aus Santo Domingo, der als Heizer eines US-amerikanischen Handelsschiffs in deutsche Gefangenschaft kam und 1944 ins KZ Mauthausen eingeliefert wurde - auch er erlebte die Befreiung; und Tiemoko Garan Kouyaté aus Mali, ein antikolonialer kommunistischer Aktivist, der in Frankreich in die Hände der Gestapo fiel und nach Mauthausen deportiert wurde, wo er 1944 zu Tode kam.
Durch die Studien von Fuchslehner und Röhrling - basierend auf einer Teilauswertung der Datenblätter im Archiv der Gedenkstätte im Innenministerium im Abgleich mit publizierten Gefangenenverzeichnisssen - gelang es nun nicht nur, eine fast doppelt so große Zahl von Häftlingen afrikanischer Herkunft zu identifizieren, sondern auch verschiedene biographische Details über sie zu erheben.
Aufgrund der riesigen Datenmenge (ca. 169.000 Karteikarten) wurden in einem ersten Schritt nur Inhaftierte, die als "Franzosen" klassifiziert waren, nach ihrem (afrikanischen bzw. karibischen) Geburtsort erfasst, da zur Zeit des Zweiten Weltkrieges ein Großteil Afrikas zum Kolonialbesitz Frankreichs gehörte und die französischen Kolonien in der Karibik von einem hohen Anteil schwarzer Menschen geprägt waren. Die Notwendigkeit eines zweiten Forschungsdurchgangs zur Erfassung der als "Briten", "Belgier" etc. klassifizierten Häftlinge mit afrikanischem Geburtsort ist also evident und würde die Zahl der Betroffenen noch weiter, wenn auch vermutlich nicht wesentlich erhöhen. Darüber hinaus wäre eine breitere Grundlage für weiterführende biographische Forschung vorhanden.
Die größte nationale Gruppe unter den 155 erfassten "französischen" Häftlingen stammte aus Algerien (104); die übrigen kamen aus dem restlichen Nordafrika (Tunesien, Marokko und Ägypten: 38), aus dem subsaharischen Afrika (8) und aus der Karibik (5). Dass dabei mit René Lescoute auch ein 1920 am Kap der guten Hoffnung geborener Südafrikaner zum Vorschein kam, war erstaunlich. Sein Lebenslauf, der ihn zum Theologiestudium nach Montpellier in Frankreich und dann ins KZ Mauthausen führte, müsste durch weitere Forschungen geklärt werden. Lescoute starb am 28. Jänner 1945 in Ebensee.
Insgesamt erlebte mehr als die Hälfte der erfassten Häftlinge (84) die Befreiung aus dem KZ; für 59 von ihnen ist der Todesfall nachgewiesen, häufig auch in Nebenlagern von Mauthausen. Die übrigen wurden in andere Lager deportiert, oder ihr Schicksal ist unbekannt.
Kolonialphantasien
Soweit anhand der Personalkarten der Gefangenen feststellbar, hingen die Gründe für deren Inhaftierung weniger mit ihrer Herkunft als vielmehr mit ihrem politischen Engagement zusammen. Von der KZ-Verwaltung wurde zwar eine Reihe von körperlichen Merkmalen - wie Größe, Gewicht, Tätowierungen etc. - erhoben, nicht aber die Hautfarbe. In einigen wenigen Fällen (so bei Kouyaté) findet sich der Vermerk "Pol. Franzose Neger". Die meisten wurden als "Schutzhäftlinge" bzw. "Vorbeugungshäftlinge" ins KZ eingewiesen, nicht aber aufgrund ihrer Hautfarbe oder aus rassenideologischen Gründen. Dies mag erstaunen, hängt aber mit dem ambivalenten Verhältnis des Nationalsozialismus (bzw. seiner verschiedenen Fraktionen) zu Afrika und seinen Einwohnern zusammen.
Denn einerseits wurden Schwarze - analog zu den Juden - am tiefsten Punkt einer konstruierten "Rassenhierarchie" angesiedelt. Sie standen außerhalb der als Abstammungsgemeinschaft konzipierten Rechtsgemeinschaft und unterlagen zahlreichen Diskriminierungen und Schikanen im Alltag.
Andererseits jedoch zählte die Wiedergewinnung und Ausweitung des deutschen Kolonialimperiums in Afrika mindestens bis 1941/42 zu den Kriegszielen des Dritten Reiches; dieses "Mittelafrika"-Projekt war der Propaganda der kolonialrevisionistischen Bewegung in der Weimarer Repu-blik sowie deren Bündnis mit der NSDAP zu verdanken.
In Vorgriff darauf wurden schwarze Menschen teils als Sprachlehrer, ortskundige Hilfskräfte etc. in Reserve gehalten, teils für kolonialistische Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt. Als Statist oder Statistin in werbewirksamen Filmen wie "Ohm Krüger" oder "Carl Peters" aufzutreten bzw. an der "Deutschen Afrikaschau" mitzuwirken, die auch durch Österreich tourte, war zwar demütigend und diskriminierend, bot vielen aber eine Nische zum Überleben - solange sie sich nicht politisch engagierten oder sozial "auffällig" wurden.
Neue Gedenkkultur
Auch wenn der zweite Teil der Studie noch ausständig ist, wurde allein durch die Thematisierung der "KZ-Häftlinge afrikanischer Herkunft" eine Diskussion in Gang gebracht und eine bestehende Lücke in der zeitgeschichtlichen Forschung zumindest teilweise geschlossen. Gleichzeitig geht es auch um einen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung, im Hinblick auf die Geschichte Österreichs wie auch auf jene der afrikanischen Diaspora in Europa.
Auch in der Gedenkkultur der Republik Österreich sollten die afrikanischen Opfer des Nationalsozialismus ihre angemessene Berücksichtigung finden, unter anderem durch die Aufstellung eines Mahnmals auf dem Gelände der Gedenkstätte Mauthausen, analog zur bestehenden Gedenktafel für die inhaftierten Kubaner. Auch in Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien sollten Existenz und Schicksal der KZ-Häftlinge afrikanischer Herkunft Berücksichtigung finden.
Der Projektbericht "Afrikanerinnen und Afrikaner im KZ Mauthausen" von Barbara Fuchslehner und Karin Röhrling entstand im Rahmen des Universitätslehrgangs Library and Information Studies der Universität Wien. Unterstützung kam vom Bundesministerium für Inneres, dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, der Elfriede-Pekny-Gesellschaft zur Förderung von Southern African Studies/SADOCC und dem Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ).
Der gesamte Projektbericht kann auch online gelesen werden: www.sadocc.at
Walter Sauer ist Universitätsprofessor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Dokumentations- und Kooperationszentrums Südliches Afrika. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören das österreichische Afrikabild und der Kolonialismus im Habsburgerreich.