Unicef: 40 Prozent aller Zivilopfer im Irak sind Kinder. | Bagdad. Sie haben sich vor einem Panzer versammelt, hinter Stacheldraht und neben zwei amerikanischen Soldaten. Die irakischen Jungen lächeln ein bisschen schief und posieren für die Kamera des zehnjährigen Ali Saif Ibrahim aus Bagdad.
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Saif Ibrahim und hundert weitere Kinder und Jugendliche aus der irakischen Hauptstadt im Alter zwischen 10 und 16 Jahren sind zu Fotografen der Nachkriegszeit geworden. Sie dokumentieren ihren Alltag nach Saddam und mit den amerikanischen Soldaten, sie zeigen Trümmer und Zerstörung und sie liefern Bildberichte über das Elend der vergessenen Kinder Bagdads.
Aber man sieht auch einige kleine Mädchen, die in Kleidern für die Kamera posieren. Oder Jungen, die Fußball auf einem mit Palmen gesäumten Sandplatz spielen. Diese Bilder drücken aus, was sich alle am meisten wünschen: Frieden und Normalität. Doch davon ist das krisengebeutelte Land weit entfernt.
Das Beispiel Irak bringt nüchterne Realitäten ans Tageslicht: Die Hoffnung, dass nach Ende des Krieges die Welt friedlicher würde, wurde bislang enttäuscht. Ebenso hatte sich die Annahme, dass in vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt, die indirekt in das Aufeinanderprallen der Blöcke einbezogen waren oder als Orte der religiösen oder politischen Stellvertreterkriege missbraucht wurden, automatisch nach Ende der Konfrontation der Supermächte funktionierende Staatengebilde unter anderem mit leistungsfähigen Schul- oder Bildungssystemen entstünden, nicht bewahrheitet.
Laut Unicef (2004) wächst die Kriegsintensität seit Ende des 2. Weltkriegs um einen Krieg pro Jahr und erreichte im Zeitraum von 1990 bis 1996 einen Jahresdurchschnitt von 46 Kriegen. 90 Prozent der Kriegsopfer sind Zivilisten, davon allein 40 Prozent Kinder.
Und nach wie vor zerstören Kriege, Bürgerkriege und gewalttätige Konflikte die sozialen Strukturen, die gesellschaftliche Formen des Zusammenlebens und beeinträchtigen die Funktionsfähigkeit von Schulsystemen bis hin zum vollständigen Zusammenbruch jeglicher Bildungsinfrastruktur.
Den Blick von denen, die oft am schlimmsten vom Krieg betroffen sind, fängt Ali Saif Ibrahim tagtäglich ein. Der vierjährige Jusuf hat seine zweijährige Schwester Soren in der Hand. Ihre Eltern sind im Krieg umgekommen. Seither sind die zerstörten Slums von Bagdad ihr Zuhause. Nachts verstecken sich die beiden hinter Panzern. Hilfsgüter wie Decken und Proviant sind kostbares Gut, denn nicht alle Kinder trauen den Soldaten. Viele, wie Jusuf und Soren, fürchten sich, sich ihnen zu nähern.
300 Waisen werden in Bagdad monatlich aufgefangen und von internationalen Organisationen betreut, doch es ist nur der oft zitierte "Tropfen auf den heißen Stein". Wenigstens das Lachen haben Jusuf, Soren, Ali und die anderen nicht verlernt. "Eines Tages wird hier in Bagdad wieder alles gut werden", murmelt Jusuf überzeugt und geht zu einer Scheune, um sich etwas hinzulegen. "Man weiß ja nie, wie lange es in der Stadt ruhig bleibt. Den nächsten Anschlag auf irgendwelche Zivilisten können sie schon riechen", warnt er und ist fort.