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Die vergessenen Lehren der Großen Depression

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft
US-Präsident Roosevelt unterzeichnet 1933 den Glass-Steagall-Act, die Namensgeber Carter Glass (3. von links) und Henry Steagall (6. v. l.) stehen mit anderen Abgeordneten im Hintergrund.
© © © Bettmann/CORBIS

Jahrzehntelanges Lobbying ließ bewährte Finanzmarktregeln erodieren.


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Washington. Der Eindruck, dass aus Krisen nie die richtigen Lehren gezogen wurden, trügt: Nach dem Börsencrash von 1929 und unter dem Schock der Großen Depression in den 1930ern führte die US-Regierung eine simple Regel ein, die fast 70 Jahre Bestand hatte - den "Banking Act von 1933", nach den federführenden Abgeordneten Carter Glass und Henry Steagall oft "Glass-Steagall-Act" genannt.

Die Kernidee: Geschäftsbanken, deren Einlagen mit Steuergeld abgesichert sind, sollten von spekulativen Wertpapierhandelshäusern getrennt werden. Das sollte verhindern, dass Banken fragwürdige Kredite vergeben, daraus Wertpapiere schnüren und diese an ihre Kunden weiterverkaufen. Mit dem Gesetz wurde die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC), die US-Variante der Einlagensicherung, gegründet.

Dieses regulatorische System krempelte den Finanzsektor gehörig um: So wurde etwa aus JP Morgan das Investmenthaus Morgan Bank - später Morgan Stanley. Die Regelung bewährte sich, weil sie Interessenskonflikte verhinderte. Glass-Steagall beschränkte die Banken aber auch in ihren Wachstumsmöglichkeiten und wurde zur Zielscheibe heftiger Lobbyingaktivitäten.

Binnen 25 Jahren sollen nicht weniger als 300 Millionen Dollar in die Bekämpfung des Gesetzes geflossen sein. Ab Ende der 1960er erodierte die strikte Trennung schließlich immer mehr. Mit dem Amtsantritt von Notenbankchef Alan Greenspan 1987 wurde die Deregulierung des Finanzsektors endgültig zur vorrangigen Lehrmeinung. Endgültig der Garaus wurde dem Glass-Steagall-Gesetz 1999 in der Ära von US-Präsident Bill Clinton gemacht: 1991 trat der "Gramm-Leach-Bliley Act" in Kraft - als Gesetz zur "Modernisierung des Finanzmarktes".

Den Todesstoß hatte der Vorschrift just Bankmanager Sanford Weill versetzt, der heute (wie berichtet) neue Vorschriften für ein Trennbanken-System fordert. Weill fusionierte seine Versicherungsgesellschaft Travelers mit Citicorp 1998 zur Citigroup und spekulierte, dass das Gesetz bald entsorgt würde. So kam es auch. Die Finanzkrise wäre zwar nicht verhindert worden, wenn Glass-Steagall noch in Kraft gewesen wäre. Experten sind aber geteilter Meinung, ob die Banken so groß geworden wären, dass sie auf jeden Fall gerettet werden müssen.

Hank Paulson, Finanzminister zur Zeit der Lehman-Pleite 2008, gibt zu, dass die Aufsichtsbehörden mit dem raschen Wachstum der Finanzgiganten nicht Schritt gehalten hatten.

Ein schwacher Abklatsch

Jetzt soll der Geist von Glass-Steagall wiederkehren: Im Jänner 2010 legte der frühere Chef der US-Notenbank, Paul Volcker, einen Gesetzesvorschlag vor. Die "Volcker-Regel" soll verhindern, dass Banken, die Zugriff auf Zentralbankgeld und die Einlagensicherung haben, auf eigene Rechnung spekulieren und unbeschränkt in Hedgefonds oder Private-Equity-Firmen investieren dürfen - ein schwacher Abklatsch von Glass-Steagall, der seit der Präsentation immer löchriger wurde.