Zum Hauptinhalt springen

Die Verkäufer der Vergangenheit

Von Adrian Lobe

Gastkommentare
Adrian Lobe hat Politik- und Rechtswissenschaft in Tübingen, Paris und Heidelberg studiert und ist freier Journalist.

Die Zeit der Visionen ist vorbei. Die Politik hat das Feld der Utopien den Techno-Visionären aus dem Silicon Valley überlassen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der einfachste Weg, Wählerstimmen zu bekommen, ist, die Vergangenheit zu verkaufen. Donald Trump reüssierte mit seiner Parole "Make America Great Again". Die Brexit-Kampagne warb erfolgreich mit dem Versprechen, sich von der EU die Kontrolle zurückzuholen. Marine Le Pens rechtsextremer Front National träumt sich zurück in eine Zeit, in der Frankreich noch Kolonialmacht war und mit Francs bezahlt wurde. Und auch Geert Wilders schickt sich an, mit einer Beschwörung von Tradition und Mythen niederländischer Premier zu werden. In einem Wahlwerbespot wird unter bedeutungsschwerer Musik ein klischeehaftes Bild des Landes entworfen: Windmühlen, schneebedeckte Felder, Grachten. "Die Niederlande: ein prächtiges Land! Das Land unserer Ahnen", heißt es pathetisch im Off. "Das Land, das von Generationen aus Sümpfen zu einem Wunder gemacht wurde." Die unfreiwillige Ironie des Wahlwerbespots ist, dass auf die Windmühlen Weihnachtsbaum und Ostereier folgen, die nun wirklich kein genuin niederländischer Brauch sind und längst zum Inventar des globalisierten Kommerzes gehören, den Wilders immerzu kritisiert. Das Video wird somit zur Parodie.

Gideon Rachman schrieb kürzlich in der "Financial Times" über einen "nostalgischen Nationalismus", der längst auch andere Groß- und Mittelmächte wie Japan, Indien und China erfasst habe. Die "nostalgischen Nationalisten" eint, dass sie ein Gesellschaftsbild von gestern propagieren, in der die Frau am Herd steht und die Errungenschaften zurückgedreht werden. Der Globalisierung wird ein hermetischer, homogener Nationalstaat entgegengestellt.

Nostalgie ist eigentlich eine legitime Stimmung. Doch gepaart mit Nationalismus steigert sich dieses Gefühl zu einem Ausschließlichkeitsanspruch, der nur die eigenen Erfahrungen duldet. Im politischen Alltagsbetrieb herrscht Ernüchterung. Die Zeit der Visionen ist vorbei, das Feld von Gesellschaftsentwürfen hat man den Techno-Utopisten aus dem Silicon Valley überlassen, wo Facebook-Gründer Mark Zuckerberg kürzlich ein Manifest ("Building Global Community") veröffentlichte, in dem er seine globalen Ambitionen und Vorstellungen einer Weltgemeinschaft formulierte. Doch eine Politik, die keine Ideen für die Zukunft hat und nur noch die geistige Erbmasse von gestern verwaltet, irrt planlos in der Gegenwart. Die Ideen von gestern bilden keinen Kompass für die Welt von morgen.

Eine Ausnahme bildet da der französische Politiker Emmanuel Macron, der sich mit seiner Bewegung "En Marche" einem progressiven Programm verschrieben hat. Die ist freilich teuer, weil der marode Sozialstaat reformiert werden muss und Macron unangenehme Wahrheiten ausspricht. So geißelte er bei einem Besuch in Algerien die Kolonialisierung als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und warnte mit Blick auf die Reichensteuer, Frankreich werde "wie Kuba, nur ohne Sonne". So viel Klartext ist selten. Es tut dem zunehmend "postfaktischen" Diskurs gut, dass es auch noch Politiker gibt, die die Wahrheit verkaufen - und nicht die verklärten Mythen der Vergangenheit.