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Die Verlockung der Hoffnung

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare
Alexander von der Decken hat Philosophie und Romanistik studiert und in Barcelona gelebt. Er war außenpolitischer Redakteur beim "Weser Kurier" und lebt heute als freier Journalist und Autor in Bremen.
© Alex Kurze

Wladimir Putins Krieg in der Ukraine - und sein Krieg in den Köpfen.


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Wladimir Putin ist dabei, den Krieg zu gewinnen - nicht den in der Ukraine, aber den in den Köpfen. Der Kreml-Herr redet einer neuen Weltordnung, befreit von US-Einflussnahme, das Wort. Er weiß bei seinen Großmachtträumen China, den Iran, Indien und andere Nationen hinter sich. Es mag zynisch klingen, aber die Ukraine war nichts anderes als der Türöffner für diese Debatte. Dem Kreml geht es primär nicht um die Eroberung der ehemaligen Sowjetrepublik, sondern darum, die öffentliche Wahrnehmung im Westen nachhaltig zu erschüttern. Das ist die Logik hinter all dem Wahnsinn.

Krieg beinhaltet neben dem apokalyptischen immer auch ein ökonomisches Moment, siehe den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Kommen Atomwaffen ins Spiel, sieht das Ganze gleich anders aus, denn ein solcher Konflikt kann sehr schnell ins Apokalyptische abgleiten. Soll heißen: Der Krieg gegen eine Atommacht ist nicht zu gewinnen. Und genau das ist Putins Logik bei der Umsetzung seiner makroökonomischen Weltneuordnungsfantasien. Der Westen, allen voran die USA, ist ihm reflexhaft auf den Leim gegangen. Im Wahn, den Status quo ante beibehalten zu können, wird eine Schulterschlusspolitik wider jede Vernunft praktiziert. Es wird mit Sanktionen gedroht, die allesamt keine strategische Durchschlagskraft haben.

Europa ist im Ukraine-Konflikt handlungsunfähig, da es sich in nationalen Egoismen verstrickt, mit vermutlich verheerenden Folgen. Denn eines ist Fakt: Die westliche Wertegemeinschaft hat in Afghanistan in bedrückender Weise demonstriert, wie sie es mit der Verteidigungsbereitschaft eben jener freiheitlichen Werte im Ernstfall hält. Die USA sind der große finanzielle Profiteur des Ukraine-Krieges. Von den strategischen ökonomischen Ambitionen, die sich dahinter verbergen - siehe den seinerzeit mit einer Lüge vom Zaun gebrochenen Präventivkrieg im Irak, der nicht minder verbrecherisch war, als es der russische Angriff auf die Ukraine ist -, sei hier erst gar nicht die Rede. Ein Gegenrechnen von menschenverachtender Grausamkeit verbietet sich eigentlich von selbst, aber wo eine solche Scheinheiligkeit im Spiel ist, gehören eben doch alle Fakten auf den Tisch.

Der verachtenswerte Überfall auf die Ukraine muss schon aus Vernunftgründen umgehend beendet werden. Denn es wird auch eine Nach-Putin-Ära geben, das sollte man bei aller Kopflosigkeit in den europäischen Machtzentren im Auge behalten. Deutschlands Kanzler Olaf Scholz sprach von einer Zeitenwende im Schatten der Ukraine-Ereignisse. Damit hat er sogar recht. Aber sie muss eben auch erfolgen, und zwar in ökonomischer Hinsicht. Das liebgewonnene Wachstumsdenken gehört ein für allemal beerdigt. Es ist nicht mehr zeitgemäß, es bietet keine perspektivischen Lösungen mehr. Um es noch deutlicher zu sagen: Der Kapitalismus in seiner tradierten Form ist tot. Die Zeit für Visionen ist hingegen angebrochen. Es bedarf Politikerinnen und Politiker mit der Courage, dies zu sagen und den neuen Weg eines demokratischen Sozialismus, wie immer er auch sehen mag, mit Augenmaß und Weitsicht zu gehen.

Der deutsche Sozialpsychologe Harald Welzer hat in seinem Buch "Nachruf auf mich selbst" das Alternativpotenzial schon einmal grob skizziert: Weniger ist mehr und sozialverträglicher ist es allemal, so das Diktum seines Ideenkatalogs. Entscheidend sei der Akt des Handelns, des Tuns. Die Mittelalterhistorikerin Annette Kehnel zeigt in ihrem Buch "Wir konnten auch anders - eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit" auf, dass die Idee des Weniger schon vor 200 Jahren in beeindruckender Form praktiziert wurde - und dass sie auch heute funktionieren kann.

Damit Putin den Krieg in den Köpfen nicht gewinnt, müssen wir seiner rückwärtsgewandten Kriegsrhetorik innovatives Denken entgegenstellen. Entscheidend ist, ökonomisches Streben dem Gemeinwohl unterzuordnen, sprich: ein Umdenken in allen Bereichen des Profitstrebens. Es geht nicht um marxistische Kasuistik, sondern darum, das Prinzip Verantwortung politisch umzusetzen - in einer Welt, in der die Idee der Freiheit eben nicht mehr als Argumentationshebel für politische Unlauterkeit missbraucht wird.