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Die Vermenschlichung Hillary Clintons

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Auf dem Parteitag der Demokraten in Philadelphia ließ sich die Strategie erahnen, mit der Clinton im Herbst gewinnen will.


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Washington/Philadephia. Einschaltquoten prüfen ist sein täglich Brot. Die Tatsache, dass Donald Trump gern und viel fernschaut, war nie ein Geheimnis. Mit Hilfe seines Accounts auf der Social-Media-Plattform Twitter, den er seit 2009 pflegt, bewertet er manchmal täglich, was im Hause Trump so alles geschaut wird, wenn der Tag lang und die Langeweile groß war. Wenn ihm dabei etwas missfällt, und das passiert oft, er aber den Menschen ausnahmsweise nicht persönlich angreifen will, verweist er stets verlässlich auf die angeblich niedrigen Einschaltquoten der jeweiligen Show. Was Wunder, sieht sich Trump selbst doch von jeher als "einzigartiger Quotenbringer. Wenn ich etwas zu sagen habe, schalten die Leute ein".

Drei Millionen Zuseher mehr als bei den Republikanern

Nun denn: Am ersten Tag der Democratic National Convention (DNC) 2016 in Philadelphia schalteten ganze drei Millionen Leute mehr ein als bei der republikanischen eine Woche vorher. Das, obwohl Hillary Clinton im Gegensatz zu Trump nicht persönlich auftrat. Laut dem von der Quotenmesserfirma Nielsen erhobenen Daten schauten Michelle Obama und Bernie Sanders bei ihren Reden 26 Millionen zu. Melania Trump - bei ihrer Wiederholung einer alten Rede von Frau Obama - nur 23 Millionen.

Auch wenn das über seine Chancen, am Ende tatsächlich im Weißen Haus zu landen, nicht wirklich viel erzählt: Angesichts der zahlreichen diese Woche von diversen Medienhäusern veröffentlichten Umfragen, die Trump plötzlich bundesweit bis zu sechs Prozent vorne sehen, ist in diesem Zusammenhang Vorsicht geboten. Immerhin mit der Lüge vom Quotenkönig Trump dürfte erstmal aufgeräumt sein.

Zu wenig liberal, zu sehr Wall-Street-hörig

Mit der Wahrnehmung aufräumen lautete in Philadelphia auch das inoffizielle Motto von Tag zwei. Es stimmt einfach: Hillary Clinton hat ein Image-Problem, und das nicht erst seit gestern. Angesichts der Fakten scheint das teils ungerechtfertigt, weil auf klar als sexistisch zu identifizierenden Faktoren beruhend. Der selbst verschuldete Teil liegt im Auge des jeweiligen Betrachters. Zum Beispiel: Mit ihrer Entscheidung, im Jahr 2002 als Senatorin von New York für den gewaltsamen Sturz von Saddam Hussein zu stimmen, ihrem relativ späten Bekenntnis zu den Eherechten Homosexueller und ihrer eher zurückhaltenden Kritik an jenen Wall-Street-Praktiken, die 2008 zur größten Wirtschaftskrise seit der Great Depression in den 1930er Jahren beitrugen, hat sie sich in der eigenen Partei (abgesehen von der Funktionärskaste) wenig Freunde gemacht. Nachdem sie als Außenministerin zudem bisweilen selbst republikanische "Falken" rechts überholte, was an der Parteibasis für noch mehr Unmut sorgte - siehe den Boden, auf dem die Kandidatur von Bernie Sanders gedeihte - liegen die Probleme auf der Hand.

Die Mutter im Dienst des gesellschaftlichen Fortschritts

Die Antwort Clintons und ihrer Berater darauf nimmt, wie die ersten Tage der Convention - im Rahmen derer in der Nacht zum Donnerstag Barack Obama und sein Vize Joe Biden sprachen - indes langsam aber sicher Konturen an. Da war Michelle Obamas leidenschaftliches Plädoyer für die Vernunft und den politischen Pragmatismus, den sie verkörpere; Elizabeth Warrens und, noch wichtiger, Sanders’ Appelle an die Parteilinke, sie im Kampf gegen Trump als alternativlos darzustellen; und - last but not least - Bill Clintons extrem persönlich gefärbte Geschichten von der so fürsorglichen wie engagierten Mutter, die sich ihr Leben lang in den Dienst des gesellschaftlichen Fortschritts gestellt habe, auch wenn das meist unbedankt blieb. So steht die Convention ganz im Zeichen der "Vermenschlichung" Clintons, als Antwort auf die "Crooked Hillary"-Kampagne der Konservativen, die keine Gelegenheit auslassen, sie wahlweise als Auslaufmodell und/oder unglaubwürdig hinzustellen.

Ob das reichen wird? Angesichts ihrer Biografie spricht mehr dafür als dagegen. Wenn es einen roten Faden im Leben Hillary Clintons gibt, dann den, dass sie fast zu jedem Zeitpunkt chronisch unterschätzt wurde. Zupass kommen könnte ihr in der jetzigen Situation ironischerweise genau das, was den Clintons im Nachhinein oft als Opportunismus ausgelegt wurde: Ihre Fähigkeit, unangenehme politische Realitäten lediglich rhetorisch zu bekämpfen, um dann in der meist unbedankten Detailarbeit jene Fortschritte zu erzielen, die sie - wie meisten Demokraten - für richtig halten.

Das hat in den Achtzigerjahren im konservativen Arkansas ebenso funktioniert wie in den Neunzigern im Weißen Haus wie auch in ihrer Funktion als New Yorker Senatorin und als Außenministerin. Wenn dann auch noch die Einschaltquoten stimmen, sollte sich die Angst vor dem grassierenden Trumpismus am Ende in Grenzen halten.