Immer wieder weckt die Welt der Träume unser Interesse - jüngst im Kinofilm "Inception". | Wissenschaft kann die Traumzeit jedoch nicht festnageln. | Wien. Die Traumforschung ist wohl so alt wie die Geschichte der Menschheit. Schon der griechische Philosoph Platon thematisiert eine Unsicherheit in der Unterscheidung zwischen Traum und Wirklichkeit in seinem Dialog "Theaitetos". Die Aborigines sprechen von einer Parallelzeit: Spiralen in australischen Höhlenzeichnungen gelten als Symbol für den Weg in die Traumzeit. Bis heute ist die Wissenschaft uneins über die Funktion von Träumen. | Blättern im Bilderbuch der Seele - Interview mit der deutschen Traumforscherin Ortrud Grön
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Es gibt viele Theorien, doch bewiesen ist nichts. Immerzu weckt die Traumwelt unser Interesse - den jüngsten Versuch ihrer Vermessung macht Christopher Nolan im Kinofilm "Inception".
Im Durchschnitt produzieren wir jede Nacht vier bis fünf Träume. Wer meint, nicht zu träumen, hat bloß Schwierigkeiten, sich an seine Träume zu erinnern. "Bei jedem Menschen füllen Träume rund 20 Prozent seiner gesamten Schlafzeit", fasst die US-Traumforscherin Denise Linn in ihrem neuen Buch "Die geheime Kraft der Träume" zusammen. Nur Reptilien und Amphibien träumen anscheinend nicht - was vermutlich mit der verhältnismäßig geringen Komplexität ihrer Gehirne zusammenhängt. Hingegen sprechen etliche Indizien dafür, dass alle warmblütige Säugetiere und Vögel träumen - allen voran der Mensch. Dabei verlangsamt oder beschleunigt sich unser Herzschlag. Stoffwechsel und Gehirndurchblutung erhöhen sich.
Säubern des Datenmülls
Nach Ansicht mancher Wissenschafter dienen Träume der Regeneration der Großhirnrinde, indem sie überlastete Schaltkreise im Gehirn von tagsüber angehäuftem Datenmüll "säubern". Fest steht auch, dass Träume unverzichtbar sind für die Psychohygiene. Der Entzug von Traumphasen führt zu Konzentrationsschwächen und Lernschwierigkeiten. Die Auswirkungen von Schlaflosigkeit sind deshalb so verheerend, weil sie nicht nur den Schlaf, sondern vor allem die Träume raubt. "Schwere Persönlichkeitsstörungen können das Ergebnis von Traummangel sein", betont Linn. Wer unter Schlafentzug leidet, beginnt jedenfalls zu halluzinieren.
Doch wie sollen wir unsere Traumbilder verstehen? "Träume können wir nur verwirklichen, wenn wir ihre Botschaft in die Tat umsetzen. Wenn wir einen Wunschtraum haben, müssen wir uns auf den Weg machen, um ihn uns erfüllen zu können. Wenn uns Ängste zurückhalten, erinnern uns Träume, den Wunsch nicht aufzugeben", erklärt die deutsche Traumforscherin und Psychotherapeutin Ortrud Grön gegenüber der "Wiener Zeitung".
Wie aber ist die Bedeutung der Träume treffsicher zu interpretieren? Immerhin sind die Träume gar ungewöhnliche Zeitgenossen. Selten präsentieren sie sich als eindeutige Aussage. Vielmehr geistern wir in ihnen durch Welten, die im Wachzustand nicht möglich sind oder so nie existiert haben. Ungeachtet der Gesetze der Physik schweben wir, steigen endlose Treppen hinauf, ohne je im Himmel anzukommen, können fliegen oder laufen wie mit Sieben-Meilen-Stiefeln.
Wünsche und Horrorvisionen
Im Traum gehen unsere Wünsche ganz ohne unser Zutun in Erfüllung - oder sie verwandeln sich in Horrorvisionen wie in John Irvings Kurzgeschichte "Fremde Träume". Nach der Trennung von seiner Frau träumt ein Mann die Träume von Anderen je nachdem, in wessen Bett er schläft. Auch könnte es uns ähnlich gehen wie dem französischen Schlafforscher Alfred Maury: Eines Nachts träumte er, unter einer Guillotine zu liegen. In dem Moment, als das Fallbeil auf sein Genick zusauste, wachte er schweißgebadet auf. Nur um erleichtert festzustellen, dass bloß ein Teil des Bettgestells auf seinen Nacken gestürzt war.
Es gibt eine Hypothese, wonach im Traum bedrohliche Situationen simuliert werden, damit das Gehirn für Gefahren der realen Welt besser gewappnet ist. Und eine andere, wonach gewisse Dinge, die während des Träumens in der realen Umwelt passieren, zeitgleich in den Traum aufgenommen werden - quasi Träume in Echtzeit. Auch können Träume wie Vorahnungen wirken - etwa, wenn jemand denselben Traum hat, immer bevor ein betagtes Familienmitglied stirbt.
Nach der von Sigmund Freud begründeten, therapeutischen Traumforschung erwachsen Träume aus tabuisierten sexuellen und destruktiven Triebregungen, Vorstellungen und Wünschen, denen der Zugang zum Bewusstsein versperrt wird, um einen ungestörten Schlaf zu gewährleisten. Carl Gustav Jung hingegen verstand den Traum als unmittelbare Darstellung der inneren Wirklichkeit. Jung prägte auch den Begriff des kollektiven Unbewussten, ein Bereich, aus dem Menschen Kultur-unabhängig gleiche Grundassoziationen gewännen.
Traumbilder sichtbar machen
Bis vor kurzem galt, dass Menschen ausschließlich während der so genannten REM-Phasen (Rapid Eye Movement) träumen, in denen das Gehirn auf Hochtouren läuft. Nun hat sich gezeigt, dass auch im Tiefschlaf immer wieder Traumepisoden erlebt werden.
Was die empirische Schlafforschung betrifft, so steckt sie in einem Dilemma. Trotz elektronischer Messgeräte und bildgebender Verfahren scheitert sie am Versuch, Träume direkt zu beobachten. Um herauszufinden, wovon ein Mensch träumt, muss er geweckt und befragt werden. Jedoch geben die bildgebenden Verfahren Aufschluss darüber, "was den Träumen auf biologischer Ebene zugrunde liegt", erklärt der Schlafmediziner Michael Wiegand von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München: "Die Zentren, in denen Gefühle und das Gedächtnis sitzen, werden stark aktiviert. Gleichzeitig werden Bereiche, die für den kritischen Verstand, die Orientierung und das rationale Urteilen zuständig sind, fast ausgeknipst."
Könnte es je gelingen, die Träume anderer Menschen mit technischen Mitteln sichtbar zu machen? Der Freiburger Mediziner Dieter Riemann hält das für weit entfernte Zukunftsmusik. "Anzunehmen, dass man das innerhalb der nächsten 50 Jahre schaffen könnte, ist barer Unsinn. Um das bewerkstelligen zu können, müsste man in der Lage sein, bis zu den einzelnen Neuronengruppen und Neuronen vorzudringen und ihre jeweiligen Funktionen genau zu entschlüsseln. Davon sind wir aber weit, weit entfernt. Erst recht ist es völliger Quatsch, dass man irgendwann in fremde Träume eindringen und sie manipulieren könnte." Das funktioniere nur in Hollywoodfilmen.
Eingriff in eigene Träume
Möglich ist es allerdings, in seine eigenen Klarträume einzugreifen und sie zu lenken. Für sie ist charakteristisch, dass Träumenden bewusst ist, dass sie träumen. Zudem können auch Albträume mit der "Imagery Rehearsal Therapy" günstig beeinflusst werden. Die Methode beruht auf der Annahme, dass nicht nur gewisse Verhaltensmuster im Leben, sondern auch im Traum angelernten Schemata entsprechen. Patienten müssen sich die im Traum erlebten traumatischen Szenen ins Gedächtnis rufen, sich angemessene Bewältigungsstrategien einfallen lassen und diese dann so lange im Kopf durchspielen, bis ein neuer Traum entsteht.
"Nahezu alle Träume sind persönliche Botschaften. Jeder Traum schildert uns Wege, wie wir unser Leben harmonischer gestalten können, und will uns helfen, freier und kreativer zu leben. Doch um uns diese Angebote zunutze machen zu können, müssen wir ihre Gleichnissprache verstehen lernen. Dabei geht es darum, jeweils das ,Wesentliche der Bilder zu erfassen", empfiehlt Ortrud Grön.
Träume spiegeln demnach das Verhalten des Träumenden in Bildern, die Aspekte seiner Lebensweise darstellen. Um die Botschaft zu erfassen, benötigen wir den Dialog zwischen dem sachlichen Inhalt und den persönlichen Assoziationen des Träumenden, erklärt die Psychotherapeutin in ihrem Buch "Pflück dir den Traum vom Baum der Erkenntnis". Etwa sei das Wesen eines Hundes seine Liebe und Treue zu seinem Besitzer. Ist der Hund im Traum verletzt, hat der Träumende die Liebe und Treue zu sich selbst verletzt. Eine Katze sei ein souveränes Tier, das nur das tut, was es wirklich will. Ist eine Katze im Traum verletzt, hat der Träumende seine Souveränität verletzt. In diesem Sinn: Wenn wir die Bilder verstehen, befördern sie unsere Lebendigkeit.