Präsident der Wiener Rechtsanwälte fordert Vertragsfreiheit im Mietrecht. | Starke Konkurrenz durch angloamerikanisches Recht. | Supervision auch für Anwälte geplant. | "Wiener Zeitung": Hat die Bestellung von Claudia Bandion-Ortner zur Justizministerin für Sie eine schiefe Optik - besonders in Hinblick auf den Bawag-Prozess? Wird das Urteil jetzt quasi unumstößlich?
Michael Auer: Es wird sicher Rechtsmittel geben. Wenn im Urteil wirklich ein formaler oder juristischer Fehler enthalten sein sollte, haben unabhängige Richter überhaupt keine Hemmungen. Ob der Urteil erlassende Richter jetzt Justizministerin ist, spielt keine Rolle.
Was erwarten Sie sich von der neuen Justizministerin?
Das Regierungsprogramm ist - was Justiz betrifft - wenig ambitioniert. Mit einer derartigen Verstrafrechtlichung habe ich nicht gerechnet. Und ganz wichtige Materien bleiben völlig im Untergrund.
Wie zum Beispiel?
Das Mietrecht. Ich wünsche mir einen gesamten, neuen, zeitgerechten Entwurf, der Vermieter- wie Mieterinteressen gerecht regelt. Derzeit bestimmt der Oberste Gerichtshof durch die Judikatur das Mietrecht im Wesentlichen. Der Gesetzgeber hinkt nach und reformiert. Es muss aber umgekehrt funktionieren.
Was kritisieren Sie am aktuellen Mietrecht?
Es wird immer gesagt, dass Mieten höher werden. Aber es gibt keine Unterscheidung zwischen den Steuern, Betriebskosten und dem reinen Mietzins. Das kritisiere ich.
Finden Sie also, dass das Mietrecht den Vermieter benachteiligt?
Ja. Ich fordere Vertragsfreiheit im Mietrecht. Der Mieter ist ein mündiger Vertragspartner, wir haben einen Mietermarkt, wir haben keine Wohnungsnot wie nach dem Krieg, wo es eine gesetzliche Regelung geben musste. Bei Thermenreparaturen oder neu Ausmalen würde ich mich offen zeigen, dass das vom Vermieter zu bezahlen ist. Im Gegenzug muss der Vermieter vom Mieter eine angemessene Miete bekommen und nicht per Gesetz in der Miethöhe reguliert werden. Es kann durchaus auch eine Marktanpassung nach unten geben.
Was fordern Sie abgesehen von einer Reform des Mietrechts?
Der Ehepakt ist zu vereinfachen. Man soll über sämtliches Vermögen schon im Vorhinein disponieren können. Ich möchte weitgehende Vertragsfreiheit, was Ehepakte betrifft.
Woran hapert es in der österreichischen Gerichtsbarkeit?
Die Justiz in Österreich funktioniert gut. Sie ist nur personell total unterbesetzt.
Woran merken Sie das? Dauern Verfahren zu lange?
Nein, die Verfahren funktionieren eigentlich rasch, aber nicht die Ausfertigung der Urteile und der Beschlüsse. Das dauert ewig.
Im Sachverständigenwesen gab es in letzter Zeit große Skandale. Wie kann man solche Skandale verhindern?
Das System, dass den Richtern taugliche Sachverständige beigegeben werden, ist grundsätzlich richtig. Das Problem ist, dass es speziell bei der Zuteilung der Erziehungs- und Obsorgegewalt bei Kindern wenige Sachverständige gibt. Die Justiz hat aber einen großen Druck zu entscheiden - das muss ja alles rasch geregelt werden. Und der Richter ist vom Gutachten abhängig.
Es ist auch finanziell nicht interessant, in derart schwierigen, persönlich belastenden Dingen tätig zu sein. Es muss sich ändern, dass man mit hohem Fachwissen relativ wenig bezahlt bekommt.
Familienrecht ist auch für Richter und Anwälte sehr belastend.
Die psychische Belastung ist enorm hoch. Ich begrüße, dass im Regierungsprogramm vermehrt Supervision für Richter vorgesehen ist - vor allem für Familienrichter. Ich möchte Supervision auch für Rechtsanwälte einführen.
Für alle?
Ich möchte es nicht zwangsweise einführen, sondern anbieten. In einem so menschenbezogenen, konfliktbezogenen Umfeld, in dem Richter und Rechtsanwälte leben, ist klar, dass das auf die Persönlichkeit abfärbt.
Bei der Supervision für Anwälte ist wichtig, dass der Supervisor ebenfalls der anwaltlichen Verschwiegenheit unterliegt.
Ein ganz anderes Thema: Es gibt eine zunehmende Konkurrenz zwischen den Rechtsordnungen. Wie problematisch ist das?
Die österreichischen Rechtsanwälte stehen speziell mit englischen Kanzleien im Osten in einem hohen Wettbewerb.
Das kontinentaleuropäische Recht ist ein kodifiziertes Recht, das bestimmte Vertragstypen genau regelt. Man muss in einen Mietvertrag zum Beispiel nicht hineinschreiben, was Miete ist. Die Engländer und Amerikaner haben das in dieser Ausprägung nicht. Die müssen in ihren langen, sehr teuren Verträgen erklären, was Miete ist.
Aber es wird einem doch nicht aufgezwungen, in Polen oder sonst wo britisches Recht anzuwenden.. .
Nein, aber die äußere Form des englischen Vertrages wird auf kontinentaleuropäisches Vertragsrecht ohne Not übergestülpt.
Also liegt es an den Rechtsanwendern?
Ja, auch.
Hängt die Konkurrenz der Rechtsordnungen mit der EU zusammen?
Gewissermaßen ja. In der EU wird über die Grundfeste eines gemeinsamen europäischen Zivilrechts nachgedacht. Dort geht es natürlich auch darum, welches Normensystem sich durchsetzt. Ein idealer Lösungsansatz ist unser bewährtes Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch.
Michael Auer (54) ist seit April 2008 Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer. Zuvor war der auf Bauvertrags-, Immobilien-, Wohn- und Mietrecht spezialisierte Rechtsanwalt und Mediator Vizepräsident der Kammer.