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Die Vernunft des Bürgerkriegs

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Für die Erfahrungen von Hobbes sind die USA entweder zu jung oder noch nicht alt genug.


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Die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika 1776 ist ein Produkt der Aufklärung. Zugleich ist deren Geschichte und heutige Gestalt untrennbar mit einer radikal-liberalen, heute würde man sagen libertären Strömung des Staatsskeptizismus verbunden, die im Extremen bis zur offenen Ablehnung jeder staatlichen Autorität reicht.

Aus dieser Tradition ist im "land of the free and home of the brave", wie die USA in der Nationalhymne pathetisch besungen werden, der beste Schutz dagegen, ein Opfer von Waffengewalt zu werden, selbst eine Waffe zu haben und auch einzusetzen. Das wirksamste Mittel gegen einen Terroristen oder Amokläufer, der gezielt oder wahllos auf Menschen schießt, sind dementsprechend Bürger, die mit ihrer eigenen Waffe den Täter stoppen.

Es sind dies die Logik und Vernunft einer Gesellschaft im Bürgerkrieg, die dem Staat misstraut und deshalb das Gewaltmonopol verweigert. Für die Erfahrungen von Thomas Hobbes, Theoretiker der absoluten Staatsgewalt um des Friedens willen, sind die USA entweder gut hundert Jahre zu jung - oder noch nicht alt genug. Trifft Letzteres zu, muss erst das Massenmorden mit frei verfügbaren Waffen durch Amokläufer oder Terroristen, wie es gerade eben in einer Volksschule in Texas mit zahlreichen Kindern als Opfer eines 18-Jährigen schon wieder geschehen ist, noch stärker zunehmen, bis gesetzliche Änderungen bei der Regelung des Waffenbesitzes und -erwerbs politisch durchsetzbar sind.

Der Weg dorthin wird noch mit vielen Tätern und deren Opfern gepflastert sein. Selbst für den schon jetzt eher unwahrscheinlichen Fall, dass sich in den gesetzgebenden Körperschaften der USA politische Mehrheiten für einen Sinneswandel finden sollten, wird aus heutiger Sicht der Oberste Gerichtshof dagegen einschreiten. Dessen stabile konservative Mehrheit legt den Zweiten Verfassungszusatz von 1791, der den Besitz und das Tragen von Schusswaffen auf Bundesebene, in Bundesstaaten, Bezirken und Gemeinden erlaubt, in seiner wörtlichen Bedeutung aus. Womöglich können daran nur Jahrzehnte waffenkritischer Mehrheiten etwas ändern, die durch eine entsprechende Nachbesetzungspolitik am "Supreme Court" einer neuen Rechtsauslegung zum Durchbruch verhelfen.

Gemessen an den Standards der Gegenwart ist daran weder etwas vernünftig noch aufgeklärt, doch damit stehen die USA nicht allein da. Hochmut seitens des angeblich so aufgeklärten Europas ist unangebracht. Aus vielfältigen Gründen. Unverständnis nicht.