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Rätseln über Berechenbarkeit des abgeschotteten Regimes von Pjöngjang.
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Pjöngjang/Seoul/Wien. "Warum sind alle so dumm?", fragt sich Kim Jong-il in dem satirischen US-Film "Team America: World Police" von 2004. Der Vater des jetzigen nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un tritt darin als Irrer auf, der unter einem schweren Minderwertigkeitskomplex leidet. Sich selbst sieht er als missverstandenes Genie. Aus Rache will Kim die ganze Welt mit seinen Massenvernichtungswaffen in die Luft sprengen.
"Zombie" wurde der Vater von Kim Jong-un von der westlichen Presse genannt, oder - wegen seiner Atombombe - "Dr. Seltsam". Spätestens seit der Eskalation der letzten Wochen fehlt es auch seinem Sohn nicht an solch schmückenden Beiwörtern. Als "Kim Jong-Bumm" bezeichnete der "Spiegel" den jüngsten Sprössling der Kim-Dynastie. Immer wieder ist vom "irren Kim" die Rede, und Kommentatoren fragen sich, ob der nordkoreanische Diktator nach den Gesetzen der Rationalität vorgeht oder tatsächlich wahnsinnig geworden ist.
Unberechenbarer Stalin
Eine Frage, die sich schon bei anderen prominenten Diktatoren im letzten Jahrhundert gestellt hat - etwa bei Chinas Ex-Staatschef Mao, der im Zuge der "Kulturrevolution" seine engsten Gefolgsleute opferte. Oder bei Sowjet-Diktator Josef Stalin. Auch der hatte in den Reihen seiner eigenen kommunistischen Partei mit sogenannten Säuberungswellen Angst und Schrecken ausgelöst. Durch nichts, so schien es damals vielen Parteigängern, konnte man sich vor den Launen des Diktators schützen. Auch im abgeschotteten Nordkorea sollen sich laut südkoreanischen Quellen solche Säuberungen auf höchster Ebene abspielen. Die Willkür des Staates, die jederzeit zuschlagen kann, folgt freilich auch einer inneren Rationalität - sie verbreitet Angst und zwingt zur Anpassung.
Dabei schien der Weg des jungen Kim zum "Irren" keineswegs vorgezeichnet. Anders als viele seiner Landsleute, die das Land niemals verlassen, kennt er sich im Westen aus: Als Schüler Pak-un soll er im schweizerischen Bern fließend Schweizerdeutsch gelernt haben, außerdem Englisch und Französisch. Er zeigte sich hilfsbereit und brillierte als Basketballer. Auch nach der Machtübernahme Kim Jong-uns hatte es den Anschein, dass er Wirtschaftsreformen aufgeschlossener gegenübersteht als sein Vater und Großvater. Nordkorea-Beobachter bemerkten einen kleinen Aufschwung in Pjöngjang. Dass sich Kim Jong-un in den Staatsmedien mit seiner Frau zeigen ließ, wurde ebenso als ein atmosphärisches Signal für Öffnung gewertet wie der Umstand, dass bei den nordkoreanischen Mädchen die Röcke kürzer und die Absätze höher wurden.
Diese Signale einer zaghaften Besserung passen aber so gar nicht zu der politischen Eskalation, die sich in den letzten Wochen abgespielt hat - und zur martialischen Kriegsrhetorik des Regimes: "Wir sind immer im Krieg, das ganze Jahr", berichtete ein 2010 geflohener nordkoreanischer Flüchtling kürzlich. "Im Frühling gibt es einen "Krieg der Reisaussaat", im Herbst war "Erntekrieg" und im Winter kämpften wir den "Fischfang-Krieg". Jede Jahreszeit brachte uns einen neuen Feind, den wir zu besiegen hatten", sagte der Flüchtling der Website New Focus International. "Arbeitsplätze sind Schlachtfelder und Arbeit stärkt das Land für den finalen Sieg der Vereinigung", meint der Nordkorea-Experte B.R. Myers.
Krieg oder Reformen?
Ob die Vereinigung der beiden Koreas unter nordkoreanischer Flagge - wohl durch Krieg - aber wirklich das Ziel Nordkoreas ist? Ebenso wahrscheinlich ist, dass Kim die atomare Kraftmeierei seines Staates - ähnlich wie sein Vater - nur nutzt, um sich für Verhandlungen in eine vorteilhafte Position zu bringen. Und um innenpolitisch Elite und Volk hinter sich zu scharen. Auch deshalb, um die dringend nötigen Wirtschaftsreformen in Angriff nehmen zu können, wie Nordkorea-Experte Rüdiger Frank betont.