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Die Verschuldungskrise als EU-Integrationsmotor

Von Erhard Fürst

Gastkommentare

Nachdem der Vertrag von Lissabon am 1. Dezember 2009 unter schweren Wehen das Licht der Welt erblickt hatte, war man sich einig, dass dies für längere Zeit die letzte Vertiefung der europäischen Integration wäre. Das war allerdings noch vor Ausbruch der Verschuldungskrise in den Randzonen der EU.


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Inzwischen dürfte die Verschuldungskrise zu einem neuen Integrationsschub führen. Nach dem Griechenland-Paket und dem betrags- wie zeitmäßig knapp bemessenen Euro-Schutzschirm für weitere in Bedrängnis kommende Euroländer geht es nun um eine substanzielle Aufstockung der Mittel und eine unbefristete Verlängerung.

Das bedeutet höhere Haftungen der Euroländer, allen voran Deutschlands, für von der EU neu aufgelegte Euro-Anleihen. Solche Anleihen können bis auf Weiteres zu günstigen Konditionen auf den Kapitalmärkten untergebracht werden, bedeuten allerdings für Triple-

A-Länder eine Verteuerung ihrer Refinanzierung, weil die Gläubiger einen zusätzlichen Risikoaufschlag für die implizite Einbeziehung von Ländern mit geringerer Bonität verlangen.

Als Preis für die Zustimmung der AAA-Länder wird es einen strengen Mechanismus für die Überwachung der Sanierungsprogramme in den hochverschuldeten Ländern geben müssen mit strengen, automatisch eintretenden Sanktionen im Falle der Nichtbefolgung. Damit werden Tabus gebrochen werden, nämlich das Verbot, Schuldnerländer vor der Insolvenz zu bewahren und in die nationale Budgethoheit einzugreifen. Im Ergebnis führt dies zu einer Transfer-Union unter strengen Auflagen.

Dazu wird für den schlimmsten Fall ein spezielles Insolvenzverfahren für Euroländer entwickelt werden müssen, mit "Haircuts" für alle Gläubiger und als Ultima Ratio der Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen ein Land aus der Währungsunion auszuschließen.

Aber nicht nur die Euro-Regierungen werden über ihren Schatten springen müssen, auch die Europäische Zentralbank. Nach dem ersten "Sündenfall", Banken unbegrenzte Refinanzierungen zu günstigsten Bedingungen anzubieten und Anleihen von hochverschuldeten Euroländern zu kaufen, um deren Refinanzierungskosten zu senken, wird sich die EZB auch still und leise von der absoluten Priorität der Geldwertstabilität verabschieden müssen.

Sie wird in Zukunft nicht mehr nur auf die Inflation achten können, sondern auch die Rückwirkungen etwaiger Zinserhöhungen auf die Schuldendienstfähigkeit der Problemländer und in weiterer Folge auch ein Auge auf die Solvenz der Gläubigerbanken haben müssen. Anders ausgedrückt: Das von Frankreich seit langem geforderte "Gouvernement économique" wird dann wohl Realität werden.

Erhard Fürst war viele Jahre Leiter der Abteilung Industriepolitik und Wirtschaft in der Industriellenvereinigung.